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Wolkentöchter

Wolkentöchter

Titel: Wolkentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xinran
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Töchter danach sehnen, ihre leiblichen Mütter zu verstehen und ihnen sagen zu können, wie sehr sie sie lieben. Ich erkannte, dass ich in gewisser Weise eine von ihnen bin. An diesem Tag beschloss ich, die Geschichten, die ich schon so lange mit mir herumtrug, aufzuschreiben, so schmerzhaft das auch sein würde. Ich würde meine Gedanken und Gefühle über Mütter und über das Leben mit adoptierten Töchtern mit anderen teilen und so den Adoptivmüttern für die Liebe danken, die sie ihren chinesischen Töchtern entgegenbringen.
    Als die Erinnerungen allmählich an die Oberfläche drangen und ich zum Stift griff, um mit dem Schreiben anzufangen, befielen mich andere Ängste: Sollte ich eine Dokumentation schreiben oder die Geschichten fiktionalisieren? Was sollte ich ins Buch hineinnehmen, was weglassen? Welches Bild ihrer leiblichen Mütter würde ich den Adoptivkindern vermitteln? Sollte ich die Fakten ausschmücken oder bei den nackten Tatsachen bleiben? Sollte ich mich bei der Auswahl dieser Tatsachen von meinen Emotionen lenken lassen? Fast zehn Monate lang schlug ich mich mit diesen Fragen herum, ehe ich schließlich die Antworten fand. Das Buch sollte ein ehrliches Protokoll des Lebens der Mütter werden, ein Geschenk der Mutter-Tochter-Liebe, das ich, eine Tochter, mit anderen Töchtern teilen konnte, die Botschaft einer namenlosen chinesischen Mutter an ihre Tochter, wo auch immer diese sein mochte.
    Am 2 . Februar 2008 begann ich in einem kleinen Haus am Meer, an der Blues Point Road in Sydney, das Buch zu schreiben. Seltsamerweise wurde der Auftakt meiner Arbeit von zwei Wochen währenden Unwettern begleitet, wie sie in der südlichen Hemisphäre manchmal im Sommer vorkommen. Wusste der Allmächtige um das emotionale Chaos, das in mir tobte, um meine Angst davor, diese Erinnerungen zu Papier zu bringen? Wurde mein Entschluss auf dramatische Weise bekräftigt?
    Der 7 . Februar fiel auf das chinesische Neujahrs- oder Frühlingsfest, und die australischen Medien berichteten über die Abertausende Chinesen, die zu den Feierlichkeiten zusammenkamen. Unter ihnen waren auch über einhundert Familien, die chinesische Kinder adoptiert hatten. Während ich diese Mädchen in ihren chinesischen Kostümen beobachtete, die ihre australischen Eltern fragten, was es mit dem Frühlingsfest eigentlich auf sich habe, befielen mich sehr gemischte Gefühle. Waren diese Mädchen wirklich Töchter Chinas? Ja, ich denke, sie waren es. Wie ein altes Sprichwort sagt: Wenn Orangen aus dem Süden in den Norden verpflanzt werden, sind sie nach wie vor Orangen, selbst wenn sie etwas anders schmecken. Ich glaube, auch wenn diese Mädchen in einem fremden Land und einer fremden Kultur aufgewachsen sind, fließt in ihren Adern noch immer das Blut ihrer chinesischen Mütter.
    Aber was empfinden ihre leiblichen Mütter? Ist die namenlose chinesische Mutter froh oder traurig, wenn sie weiß, dass ihre geliebte Tochter jetzt in den Armen einer anderen Mutter glücklich ist? Ich selbst habe weder eine Tochter geboren, noch bin ich die Mutter einer Adoptivtochter, aber ich muss jedes Mal weinen, wenn ich mir vorstelle, was sie empfinden. Und ich habe mal ein kleines Mädchen verloren, das für mich wie eine Tochter war, daher kann ich mir ungefähr vorstellen, was sie empfinden. Da ist eine Leere, die sich niemals füllen lässt, da ist ein Schmerz, den die unglückliche leibliche Mutter empfindet, den die Adoptivfamilie im Westen empfindet und den nicht zuletzt die Tochter empfindet, die den Rest ihres Lebens in einem Zwiespalt verbringen wird – weil das Leben, das sie lebt, das Produkt großer Freude und großen Leides zugleich ist.
    Die Namen der Menschen und Orte, die in diesem Buch genannt werden, wurden allesamt geändert, um die Identität der leiblichen Mütter zu schützen. Aber ihre Geschichten sind ausnahmslos wahr.

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    1
    Die Begegnung mit der ersten Mutter, die ihre Tochter verloren hat
    Ich heiße Waiter, wie das englische Wort für Kellner. Aber ich warte keinen Gästen in einem Restaurant auf, sondern warte auf eine Zukunft, die niemals kommt.
     
    A ls ich China im Sommer 1997 den Rücken kehrte und nach England ging, reiste ich mit dem emotionalen Gepäck von vierzig schweren Jahren in China – während meine gesamte materielle Habe in einem einzigen Koffer verstaut war. Ich fuhr in ein Land, über das ich nichts wusste, und ich brachte nahezu nichts in mein neues Leben mit. Ich konnte nur einige wenige Stücke

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