Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Fernsehen gesehen habe, wie der Papst zu Ostern die alten Gichtfüße seiner Kardinäle wäscht, verbinde ich die Fußwaschung mit meiner Wiederauferstehung als Mensch. Ich weiß nicht, wieso die Füße in der Religion eine wichtigere Rolle spielen als die Hände, aber danach kommt es mir regelmäßig so vor, als wäre ich auch innerlich gereinigt. Je mehr ich verwahrlose, desto religiöser werde ich.
Nach der Fußwaschung begebe ich mich zum Beet und ernte drei Tomaten und etwas Basilikum. Meist hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits der harte Kern meiner Fans vor dem Zaun versammelt und verfolgt jeden meiner Schritte mit andächtigem Staunen. Und je huldvoller ich mich bewege, desto erstaunter sind sie. Ich habe festgestellt, dass man sich nur etwas langsamer durch den Garten zu bewegen braucht, und schon gilt man in bestimmten Kreisen als weise. Wie leicht es wäre, eine Religion zu begründen, merke ich jedes Mal an den leicht irren Blicken meiner männlichen Fans. Mitunter glaube ich sogar ein leises Murmeln zu hören, es könnte aber ebenso gut von der defekten Heizungsanlage aus dem Keller stammen. Mancher Glaube entsteht nur, weil man sich einmal verhört hat.
Ich lege die Tomaten auf den Tisch, zerteile sie mit einem Messer in sechs gleich große Stücke und dekoriere je ein Blatt Basilikum darauf. Die drei und die sechs gelten bei meinen Fans seither als heilige Zahlen. Dies ist der Augenblick, wo Herr Wündisch einige Fotos macht, um sie wie jeden Montag ins Netz zu stellen. Sobald ich esse, verbitte ich mir allerdings jegliches Fotografieren. Auch die Queen wurde schließlich noch nie beim Essen fotografiert. Ich will verhindern, dass ich mich mit Tomatenfruchtfleisch im Bart weltweit lächerlich mache. Tatsächlich fallen zu allen Tageszeiten vertrocknete Essensreste aus meinem Bart, die ich dann an die wartenden Vögel verfüttere. Manchmal merke ich erst, dass mir Müsli unter dem Kinn hängt, wenn ein Pulk aufgeregt tschilpender Spatzen vor mir sitzt. Da sich meine Fans nicht trauen, mich auf das Vogelfutter im Barthaar hinzuweisen, habe ich Herrn Wündisch gestattet, kritische, wiewohl immer die Form wahrende Anmerkungen zu machen.
Nach dem Tomatenfrühstück, das sich rituell bis in den späten Vormittag hinzieht und meinen Fans eine erhebliche Geduldsprobe abverlangt, spaziere ich nachdenklich im Vorgarten umher. Dabei denke ich meist jedoch an gar nichts und konzentriere mich auf meine Füße. Es gibt kaum etwas Erhabeneres, als mit nackten Füßen auf der nackten Erde zu wandeln und an überhaupt nichts zu denken. Den Boden unter den Füßen zu spüren, kommt für mich einer spirituellen Erleuchtung gleich. Bis zum Nachmittag spaziere ich so erleuchtet durch den Garten, bis ich keine Lust mehr habe und mich erschöpft in die Hängematte lege.
Doch seit dem gestrigen Montag ist alles anders. Jutta hat Urlaub und bleibt zu meinem Schrecken zu Hause. Meine Frau hat ihren Urlaub noch nie zu Hause verbracht. Allein die Vorstellung ihren Urlaub in den vertrauten vier Wänden verbringen zu müssen, scheint sie in Panik zu versetzen. Schien sie in Panik zu versetzen, wie es seit gestern richtigerweise heißen muss. Denn meine Frau hat mich am Sonntag kurz darüber informiert, dass sie zwecks »Aufräumarbeiten« – was immer das bei ihr heißen mag – ihren einwöchigen Urlaub zu Hause verbringen wird. Ich habe lediglich stumm die Schultern gezuckt und mich zunächst nicht weiter darum gekümmert.
Es passierte an meinem Unabhängigkeitstag. Gegen zwölf – ich drehte gerade nachdenklich, beziehungsweise auf meine Füße konzentriert, im Vorgarten meine Runden – fragte sie mich unvermittelt aus dem geöffneten Küchenfenster heraus, ob sie mir ein Steak mit Kartoffeln zu Mittag machen solle. Ich erschrak so sehr, dass ich mich automatisch zu Boden warf. Ein solches Angebot hatte sie mir in all den Ehejahren noch nie gemacht. Ich musste jetzt damit rechnen, dass sie einen perfiden Plan verfolgte, der meine Ruhe empfindlich stören würde.
Anstatt ihr zu antworten, robbte ich unter dem Küchenfenster vorbei und verschwand den Rest des Tages in meinem Zelt. Ich hatte nur wenig Neigung, an meiner Situation etwas zu ändern, wusste allerdings auch, dass ich nicht ewig so weiterleben konnte. Irgendwann kommt der Moment, wo eine Veränderung unausweichlich wird.
Tatsächlich ahnte ich Schlimmes, als Jutta heute Morgen zur selben Zeit aufstand wie ich. Während ich aus dem Zelt robbte, schüttelte sie
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