Woodstock '69 - die Legende
und den Furor raubt. Sie lässt es sich jedenfalls nicht nehmen, auf der Bühne darauf hinzuweisen, und der Anflug von Peinlichkeit, der ihren Auftritt mal mehr, mal weniger begleitet, hier ist er kaum auszuhalten. »Iâd like to sing you a song, that is one of my husband Davidâs favourite songs. And let me just tell you, heâs fine and â¦Â«, sie macht eine Pause, weil sie voraussetzt, dass die Leute Bescheid wissen über ihren Mann, den SDS-Führer David Harris, der wegen Kriegsdienstverweigerung im Gefängnis sitzt. Sie erwartet also Applaus, der sich aber so recht nicht einstellen will, und dann hebt sie auch schon die Gitarre, streicht sich über den Bauch: »⦠and weâre fine, too.«
»Ein arbeitsteiliges Familienunternehmen«, schreibt Thomas Haemmerli in seiner »Entrüstung eines Nachgeborenen«: »er, der den Tatbeweis erbringende homme dâaction, sie, die musizierende Public-Relations-Abteilung«, die â das kommt noch peinigend hinzu â auch schon das ungeborene Kind, das später Gabriel heiÃen wird, geschäftsmäÃig in die Pflicht nimmt. »Mag sie sonst musikalisch brilliert haben, ihr in Woodstock zum Besten gegebener Heulbojen-Wimmer-Kitsch lässt einen wünschen, die Baez wäre gesessen und David hätte sich als Sänger versucht.« 99
Ãberliefert sind fünf Songs. Zunächst »Joe Hill«, eben jenes Lieblingslied ihres Gatten über den legendären Hobo-Songwriter und Arbeiterführer, der unschuldig zum Tode verurteilt wurde. »Sweet Sir Galahad«, ein merkwürdig vertraulicher, schon fast obszöner Song über ihre Schwester Mimi, die einen neuen Mann kennenlernt, nachdem sie drei Jahre lang ihren ersten Gatten Richard Fariña betrauert hat; in der Einleitung skizziert Baez nicht nur den familiären Hintergrund, damit keiner glaubt, sie besinge hier eine Ritterromanze, sie räumt auch ein, dies sei der einzige Song aus ihrer Feder, den sie auÃerhalb der Badewanne singe, denn sie sei klug genug zu wissen, dass ihr Songwriting nicht viel tauge. Eine Demutsgeste, aber auch die wirkt wie auswendig aufgesagt. Es folgt ein Duett mit Jeffrey Shurtleff, »Drugstore Truck Drivinâ Man«, das Shurtleff »Ronald ReGUNS« widmet, dem konservativen, in der Counterculture berüchtigten Gouverneur Kalifoniens:
Heâs a drug store truck drivinâ man
Heâs a head of the Ku Klux Klan
When summer comes rolling around
Weâll be lucky to get out of town
Das ist zwar wohlfeil, aber nicht ganz ohne Witz. SchlieÃlich beendet Joan Baez ihr Konzert mit den beiden notorischen, schon fast ritualisierten Protest-Evergreens »Swing Low, Sweet Chariot« und »We Shall Overcome«, die noch einmal die paradiesischen Heilserwartungen der Bewegung beschwören. Und damit alle mitsingen können, sagt sie immer schön die Zeile vor, bevor sie in den höchsten Tönen weiterjubiliert.
We shall overcome
,
We shall overcome
,
We shall overcome, some day
.
Oh, deep in my heart
I know that, I do believe
We shall overcome, some day
.
Allein, die Verschiebung des Sieges auf den Sanktnimmerleinstag lässt sich fast schon als ironische Pointe verstehen. Zumindest ist das wirkungsästhetisch der Haken an diesem Song, denn je öfter man ihn spielt, ohne dass die versprochene Veränderung eintritt, desto mehr verliert er an Ãberzeugungskraft, desto unwahrscheinlicher wird er am Ende. Was im Gottesdienst durchaus funktioniert, weil er ohnehin auf das Unerhörte, das Metaphysische zielt, muss auf der Protestkundgebung irgendwann scheitern, denn hier will man ja schon ein Stück vom Paradies auf Erden.
In Woodstock zeigt sich noch auf andere Weise die Obsoletheit dieser Parolen. Für die neuen linken Revolutionäre vom Schlage eines Jerry Rubin oder Abbie Hoffman sind sie längst nicht mehr genug. Die Vorgänge in Chicago während des Parteitages der Demokraten im August 1968 oder auch drei Monate zuvor an der Columbia Universität, die von Studenten eine Woche lang besetzt gehalten und erst nach massivem und einmal mehr nicht zimperlichem Einsatz der New Yorker Polizei geräumt werden konnte, machen deutlich, dass sich längst andere, schärfere Protestformen durchgesetzt haben. »Halt keine Vorträge, veranstalte keine Versammlungen. Machâ keine Podiumsdiskussionen. Die sind alle tot. Aber Theater zieht immer«,
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