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... aber er starb nicht. Die Schüsse waren verhallt und von den jaulenden Sirenen der Amsterdamer Polizei verdrängt worden.
»Slowenien«, teilte ihm Grainger später mit, als er die unversehrte Politikerin in die Tweede Karner fuhr. »Portoroz an der Küste. Es geht um einen verschwundenen Koffer mit Steuergelde rn und einen vermissten Basisleiter namens Frank Dawdle.«
»Ich brauche eine Pause, Tom.«
»Das ist sowieso wie Urlaub. Angela Yates ist deine Kontaktfrau - sie arbeitet in Dawdles Büro. Ein vertrautes Gesicht. Danach kannst du gleich dort bleiben und das Wasser genießen. «
Während Grainger in aller Kürze die Einzelheiten des Auftrags herunterleierte, hatte sich sein Magen zusammengekrampft. Der stechende Schmerz war noch immer nicht abgeklungen.
Wenn das einzige unumstößliche Naturgesetz der Drang zum Weiterexistieren ist, wird dann das Gegenteil zu einer Art Verbrechen?
Nein. Selbstmord als Verbrechen würde voraussetzen, dass die Natur zwischen Gut und Böse unterscheidet. Aber die Natur unterscheidet nur zwischen Gleichgewicht und Ungleichgewicht.
Vielleicht war das der springende Punkt. Er war abgeglitten in die entlegensten Winkel einer Existenz, in der äußerstes Ungleichgewicht herrschte. Er war so unausgeglichen, dass es schon ans Lächerliche grenzte. Wie konnte es da die Natur gut mit ihm meinen? Nein, auch die Natur wollte bestimmt nichts anderes als seinen Tod.
»Sir?« Eine Stewardess mit blondiertem Haar lächelte ihn an. »Ihr Gurt.«
Verwirrt blinzelte er sie an. »Was ist damit?«
»Sie müssen ihn anlegen. Wir landen gleich. Zu Ihrer eigenen Sicherheit.«
Obwohl er am liebsten laut losgelacht hätte, tat er ihr den Gefallen. Dann zog er den kleinen weißen Umschlag voller Pillen aus der Tasche, die er in Düsseldorf gekauft hatte, und schluckte zwei Dexedrin. Leben oder Sterben war das eine, doch im Augenblick wollte er vor allem munter bleiben.
Argwöhnisch verfolgte die Schweizer Geschäftsfrau, wie er seine Tabletten wieder verstaute.
Die hübsche Brünette mit dem runden Gesicht beobachtete ihn durch das zerkratzte kugelsichere Fenster, als er sich näherte. Er malte sich aus, was ihr auffiel- seine großen Hände zum Beispiel. Die Hände eines Pianisten. Von dem Dexedrin zitterten sie leicht, und womöglich fragte sie sich jetzt, ob er gerade unbewusst eine Klaviersonate spielte.
Er reichte ihr einen ramponierten amerikanischen Pass, der mehr Grenzen passiert hatte als die meisten Diplomaten. Ein Pianist auf Tournee, dachte sie vielleicht. Ein wenig blass und verschwitzt nach dem langen Flug. Blutunterlaufene Augen. Wahrscheinlich vermutete sie, dass er unter Flugangst litt.
Er rang sich ein Lächeln ab, und plötzlich war ihr bürokratisch gelangweilter Ausdruck wie weggeblasen. Sie war wirklich sehr hübsch, und er wollte ihr mit seiner Miene zeigen, dass er ihr Gesicht als netten slowenischen Willkommensgruß verstand.
Dem Pass entnahm sie seine Personalangaben. Eins achtzig. Geboren im Juni 1970, also einunddreißig Jahre alt. Pianist? Nun, der Beruf wird in amerikanischen Pässen nicht aufgelistet. Sie blickte zu ihm auf und sprach ihn in unsicherem Akzent an: »Mr Charles Alexander?«
Er ertappte sich da bei, wie er in einer paranoiden Anwandlung über die Schulter schaute, und lächelte erneut. »Genau.«
»Sind Sie hier wegen Geschäften oder wegen Urlaub?« »Ich bin Tourist.«
Sie legte den offenen Pass unter eine schwarze Lampe und hob einen Stempel über eine der wenigen noch leeren Seiten. »Wie lange werden Sie sein in Slowenien?«
Mr Charles Alexander betrachtete sie freundlich aus grünen Augen. »Vier Tage «
»Sie sollten mindestens eine Woche hier verbringen. Es gibt viel zu sehen.«
Wieder strahlte er sie an und wiegte den Kopf. »Ja, vielleicht haben Sie Recht. Mal sehen, wie es läuft.«
Zufrieden drückte die Beamtin den Stempel auf die Seite und gab ihm den Pass zurück. »Viel Spaß in Slowenien.«
Er durchquerte den Gepäckbereich, wo andere Passagiere des Flugs von Amsterdam nach Ljubljana mit ihren Kofferwagen um das noch leere Laufband herumstanden. Niemand schien ihn zu bemerken, und er bemühte sich darum, das Gehabe eines paranoiden Drogenkuriers abzulegen. Sein Magen war schuld, das wusste er, und das schnell wirkende Dexedrin. An zwei Zollschaltern befanden sich keine Beamten, und er setzte seinen Weg durch zwei Spiegeltüren fort, die sich automatisch vor ihm öffneten. In zahllosen erwartungsvollen Gesichtern
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