Worm
der Zukunft für ein wichtiges Instrument staatlicher Unterdrückung – bei Orwell war es das Fernsehen, bei Huxley psychotrope Drogen, bei Dick beides zusammen in Kombination mit der Biotechnologie. Bei Brunner waren es Computer, genauer gesagt Computernetzwerke. Die in Der Schockwellenreiter verarbeiteten Ideen, vor allem jene über das Zeitalter der digitalen Vernetzung, basierten weitgehend auf dem 1970 erschienenen Buch Der Zukunftsschock des Futurologen Alvin Toffler. Sie waren ihrer Zeit so weit voraus, dass Computerprogrammierer sich an Brunners »Bandwurm« erinnerten, als sie etliche Jahre später in den Forschungslaboratorien erstmals die Entwicklung echter Computerwürmer in Angriff nahmen.
Wenngleich die von Orwell, Huxley, Dick und Brunner in ihren Romanen so lebhaft gezeichneten Ängste heute noch durchaus lebendig sind und gleich mehrere eindrucksvolle und erfolgreiche Hollywoodfilme inspiriert haben, haben sie sich bislang noch nicht bewahrheitet, zumindest nicht, was Computernetzwerke angeht. Die Struktur des Internets – vielmehr sein Mangel an Struktur – steht einer zentralisierten staatlichen Kontrolle entgegen. Das Ding hat eine Milliarde Köpfe und ist nicht von oben, sondern von unten her aufgebaut. In dem Maße, wie das Internet zu einem immer wichtigeren Faktor bei weltbewegenden Ereignissen wird, tun sich Regierungen überall auf der Welt zusehends schwerer damit, Geheimnisse zu wahren und sich dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen. Das Daten-Netz hat sich bislang weniger als ein Instrument der Unterdrückung, sondern vielmehr als eines der Befreiung erwiesen. Und die Architekten von Würmern und Viren sind keineswegs die von Brunner ersonnenen heroischen Rebellen, die gegen staatliche Tyrannei ankämpfen, sondern Nihilisten oder ganz gewöhnliche Kriminelle.
Mitte der 1970er Jahre wurden große Computernetzwerke nur von Universitäten, Großunternehmen oder Regierungsbehörden betrieben. Viele der jungen Computerfreaks, die später das Internetzeitalter aus der Taufe heben und in einigen Fällen gewaltige Reichtümer anhäufen sollten, wurden sich des Potenzials derartiger Netzwerke erstmals bewusst, als sie sich (ob mit oder ohne Erlaubnis) Rechenzeit auf den Großrechnern ausliehen, um Spiele zu spielen oder mit ihren Qualitäten als Hacker anzugeben. Gates und Allen nutzten den Computer, der den privilegierten Schülern an der Lakeside School zur Verfügung stand, und als sie mit dem an ihre Grenzen stießen, überredeten sie die Schulleitung, ihnen Rechenzeit auf einem externen Computer zu mieten. Zugangsbeschränkungen gab es so gut wie keine, denn Rechenleistung und Vernetztheit galten zu der Zeit noch als ausschließlich segensreich, und Offenheit war ausschlaggebend für die Anziehungskraft der Bewegung.
Für die ersten Missklänge in diesem Techno-Eden sorgten technikaffine Desperados, »Cyberpunks«, die ihr intimes Wissen um Betriebssysteme zum Verüben von Streichen missbrauchten und pubertäre Slogans über die Monitore befallener Rechner laufen ließen, nicht viel anders als Graffitikünstler, die ihre Initialen an Wände sprayen. Die Attacken hatten etwas Spielerisches an sich und dienten den Hackern meist nur dazu, mit ihren Fähigkeiten zu protzen. Auch der Begriff »Hacker« war noch nicht ausschließlich negativ belegt. Die meisten von ihnen waren durchaus stolz auf diese Bezeichnung, viele hatten eine regelrechte Fangemeinde, und was sie machten, war größtenteils harmlos. Bis heute hält sich in Hollywood das Bild, das Weizenbaum vor über dreißig Jahren zeichnete, das Klischee vom vergammelten, langhaarigen Computerfreak, der in einem Kellerzimmer des elterlichen Hauses vor dem Rechner hockt und sich von Junkfood und Cola ernährt, mit seinem antisozialen Genie die Mächtigen ärgert, verbrecherische Syndikate aushebt und die »amtlichen« Experten mit links in die Tasche steckt. Diese Hacker aus der Anfangszeit symbolisierten schließlich den anarchischen Geist der Internetbewegung, das einzelkämpferische Genie, das sich im Kriegszustand mit dem Establishment befindet.
Mit der rasanten Evolution des Internets haben sich aber auch die Räuber weiterentwickelt. Die Neuartigkeit der Computernetzwerke und ihre globale Reichweite stellten und stellen die Strafverfolgungsbehörden vor völlig neuartige Probleme. In vielen Ländern stehen digitale Beutezüge im Cyberspace offiziell nicht unter Strafe, und wo das doch der Fall ist, wird ihre
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