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Worm

Worm

Titel: Worm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Bowden
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bisherigen Kommunikationssystemen und von seiner Struktur her deutlich stabiler.
    Anders als zum Beispiel ein normaler Telefonanruf werden Informationen im Internet nicht direkt übermittelt. Telefonleitungen übertragen die elektrischen Impulse eines ausgehenden Anrufs über Drahtverbindungen auf dem kürzestmöglichen Weg zum angewählten Anschluss. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Internet und Telefonnetzwerken oder, was das betrifft, dem Autobahnnetz, besteht darin, dass der Verkehr im Internet nicht klar definierten, vorhersagbaren Strecken folgt. Von Telefonnetzwerken und Autobahnen gibt es detaillierte Karten, und die Wege, die Anrufe oder Fahrzeuge nehmen, lassen sich immer eindeutig nachzeichnen. Eine der wichtigsten konzeptionellen Neuerungen, die den Aufbau des Internets ermöglichte, bestand in dem Verzicht auf diese Eindeutigkeit.
    Das neue Konzept namens »Paketvermittlung« wurde Ende der 1960er Jahre offenbar gleichzeitig von zwei Wissenschaftlern des Kalten Kriegs ausgetüftelt: von Donald Davies am britischen National Physical Laboratory sowie dem aus Polen emigrierten Wissenschaftler Paul Baran bei der RAND Corporation in Kalifornien. Beide waren auf der Suche nach einem neuen, robusteren Kommunikationsnetzwerk. Baran hatte den Auftrag, ein System zu entwickeln, das einem Atomangriff widerstehen konnte; Davies wollte lediglich eine Verbesserung gegenüber dem bestehenden Telefonvermittlungsnetz erreichen, dürfte sich aber höchstwahrscheinlich mit den Erinnerungen an die deutschen Bombenangriffe während des Zweiten Weltkriegs irgendwo im Hinterkopf an die Aufgabe gemacht haben. Herkömmliche Telefonnetze sind auf Fernleitungen und zentrale Vermittlungsstellen angewiesen, deren Zerstörung das gesamte System lahmlegen könnte. Baran wie Davies suchten nach einem System, das derartige Schläge überleben, das nicht ausgeschaltet werden konnte. Und beiden erschien ein am Vorbild des menschlichen Gehirns orientiertes System am vielversprechendsten.
    Wie die Neurologen wussten, aktivierte das Gehirn nach schweren Kopfverletzungen alternative neurale Verbindungen, die Bereiche mit beschädigten oder zerstörten Nervenzellen umgingen. In vielen Fällen erwarben Patienten Funktionen vollständig zurück, die zunächst unwiederbringlich verloren schienen. Offenkundig verfügte das Gehirn über ausreichend eingebaute Redundanz, mit der es selbst scheinbar katastrophale Schädigungen ausgleichen konnte; bei Telefonnetzen hätte es allerdings nichts gebracht, den direkten Verbindungsweg aufzugeben, da das Nachrichtensignal sich umso mehr verschlechtert, je länger es durch Leitungen und Vermittlungsstellen des Netzwerkes unterwegs ist und je häufiger es die Richtung wechselt. Bei digitalen Nachrichten dagegen, also Nachrichten, die sich aus den Nullen und Einsen des Objektcodes zusammensetzen, bleibt die Signalqualität unverändert erhalten. Egal, wie lange sie durch das Netzwerk mäandern, sie treffen beim Empfänger in sozusagen jungfräulichem Zustand ein. Der digitale Ansatz bot aber noch einen weiteren Vorteil: Wenn der Computer die Nachricht schon in lange Abfolgen von Nullen und Einsen aufteilte, warum sie dann nicht in noch kleinere Einheiten oder »Pakete« zerlegen und diese dann beim Empfänger wieder zusammensetzen? Auf diese Weise kann selbst eine so einfache Nachricht wie eine E-Mail auf Dutzenden unterschiedlichen Wegen an ihr Ziel gelangen. Statt von simpler Übertragung könnte man fast schon von Teleportation sprechen: Man zerlegt die Daten in eine Vielzahl eigenständiger Pakete, schickt diese hinaus ins Netzwerk, wo sich jedes seinen eigenen Weg sucht, und setzt sie am Endpunkt wieder in der richtigen Reihenfolge zusammen  – und das alles in einer in Mikrosekunden gemessenen Zeitspanne, die vom Menschen als Echtzeit empfunden wird. Keine Verzögerung. Die Diagramme des auf dieser Basis vorgeschlagenen »paketvermittelten« Netzwerks ähnelten mehr Zeichnungen von miteinander vernetzten Gehirnzellen als einer Straßenkarte oder der graphischen Darstellung eines Telefonnetzes. Ein derartiges Netzwerk erforderte nur ein Mindestmaß an zentraler Planung, da jeder Computerknoten, der daran angeschlossen wurde, das Netz zugleich vergrößerte und stabiler machte. Vor allem aber ließ es sich nur schwer zerstören. Selbst wenn es jemandem gelingen sollte, einen großen Teil des Netzes auszuschalten, würde der Datenverkehr automatisch über die noch funktionierenden Knoten

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