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Wortstoffhof

Wortstoffhof

Titel: Wortstoffhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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ist Montag«, sagt Sophie.
    Man begreift es nicht. Was ist los mit ihr? Wer hat ihr diesen Satz beigebracht? Es gibt andere Sätze, die Sophie sagt und deren Herkunft wir kennen. Zum Beispiel ist es vorgekommen, dass ich in aller Frühe ihr Zimmer betrat und aus dem Bettchen eine leises »Oh, Ssseiße, mein Handy!« hörte. Das war nach jenem Tag, an dem Paola, fünf Minuten nachdem wir ein Wirtshaus verlassen hatten, festgestellt hatte, dass sie dort ihr Telefon hatte liegen lassen – deshalb war ihr der Satz entfleucht und Sophie hatte ihn sichgemerkt und am nächsten Tag eben gesagt. Und Luis hatte das so toll gefunden, dass er ihr für den Rest des Tages immer wieder den Satz vorsprach, damit sie ihn wiederholte, immer mit sanftem Sss statt Sch: »Oh, Ssseiße, mein Handy!« »Welcher Tag ist heute, Sophie?«, fragt Paola dann am Donnerstag.
    »Heute ist Montag.«
    »Welcher Tag ist heute, Sophie?«, fragt Luis am Freitag.
    »Heute ist Montag.«
    »Welcher Tag ist heute, Sophie?«, frage ich samstags.
    »Heute ist Montag.«
    Und dann ist auf einmal Sonntag. »Morgen ist Montag«, sage ich zu meiner Tochter. »Morgen wirst du zum ersten Mal recht haben. Morgen ist der einzige Tag der Woche, an dem du recht haben wirst. Morgen ist dein Tag! Montag, Montag, Montag.«
    »Morgen ist Mittwoch«, sagt Sophie und lacht.
    Na, ich kann Ihnen sagen! Selten habe ich einen Tag mit solcher Spannung erwartet wie den Montag. Gleich nachdem die Sophie aufgewacht war, nehme ich sie und trage sie, noch in ihrem Schlafsäckchen, in unser Bett, lege sie zwischen Paola und mich und frage, während sie noch ins Morgenlicht blinzelt: »Na, Sophie, welcher Tag ist heute?« »Oh, Ssseiße, mein Handy!«, sagt Sophie.
STÜCK
    Manchmal träume ich davon, in Angela Merkels Büro zu gehen und ihr das Wort »Stück« sowie die Wortkombinationen »ein Stück« und »ein Stück weit« wegzunehmen, das alles richtig unwiederbringlich (und nicht bloß »ein Stück weit«, wie Frau Merkel jetzt schon wieder sagen würde) zu entsorgen und zum Beispiel hier im Wortstoffhof irgendwo so tief zu vergraben, dass es keiner findet, der bloß ein Stück weit gräbt.
    Es ist ja doch nicht mehr anzuhören!
    Als der 11. September 2002 vorbei war, erklärte sie, »ein Stück weit fassungslos« zu sein. Als 2002 die Frage der Kanzlerkandidatur entschieden war, nach einem Früh stück in Wolfratshausen auch noch!, stand sie an einem Pult und sagte, sie glaube, verantwortlich gehandelt zu haben, und sei »deshalb auch ein Stück stolz«. 2007 hielt sie eine Rede in Athen und sagte, sie halte diese Rede auch »mit einem Stück Stolz auf die deutsche Wirtschaft«. Im Jahr zuvor sprach sie in einer anderen Rede davon, dies oder jenes, ich weiß nicht mehr was, könne »uns als Europäer auch mit einem Stück Stolz erfüllen«. Wiederum 2007 sagte sie beim Gipfel in Heiligendamm, man müsse »die Interessen des anderen ein Stück weit mit bedenken«.
    Und die anderen fangen auch schon an.
    Kurt Beck im Spiegel , 2007: Was wir in Deutschland bräuchten sei »ein Stück Wärme«. Der Ex-Grüne Oswald Metzger klagte, »die globale Wirtschaftsdelle« sei nach dem 11. September »ein Stück weit verlängert worden«. DerFußball-Präsident Mayer-Vorfelder jammerte nach dem Ausscheiden bei der Fußball-Europameisterschaft 2004, er habe bei den Deutschen »ein Stück weit die Professionalität vermisst«. Edmund Stoiber vor Jahren in der FAZ : Europa solle kein Staat werden, »die Menschen brauchen ein Stück Heimat«. Der Höhepunkt: Beim Öko-Staffellauf von Vorarlberg nach Wien, einer Werbeaktion für Klimabündnis-Kaffee , wurde vor Jahren gebeten: »Tragen Sie ein Stück Fairness ein Stück weit dem Ziel entgegen!«
    Hat denn keiner mehr Sinn fürs Ganze? Hat man je, zum Beispiel, von Helmut Kohl den Begriff in anderen Zusammenhängen vernommen als: »Bring mal zwei Stück Kuchen, Juliane!« Hat Schröder, als er an des Kanzleramtes Toren rüttelte, gerufen: »Macht mal ein Stück auf! Ich möchte hier ein Stück weit rein!«
    Man möchte Heines Sie erlischt zitieren und rufen: »Der Vorhang fällt, das Stück ist aus.« Aber dann liest man weiter: »Und Herrn und Damen gehen nach Haus. Ob ihnen auch das Stück gefallen?«
    Nein, nein, Stück hat gar nicht gefallen, nicht mal ein Stückchen.

T
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    Erstaunlich eigentlich, wie reibungslos die Weltbuchstabenwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten lief, verglichen mit den immer wieder aufflammenden Streitereien um andere

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