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Wortstoffhof

Wortstoffhof

Titel: Wortstoffhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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zu Bildern fügen. Was war wichtig?«
    So geht das los in dem Buch.
    Schwebeteilchen.
    Wer je versucht hat, Schwebeteilchen, auch außerhalb seines Kopfes, überhaupt nur einzufangen, geschweige denn »zueinanderzubringen«, gar sie zu Bildern »zu fügen« … Aber wer hat das schon unternommen?
    Jedenfalls wüsste er, welcher Aufgabe sich dieser Mann gestellt hat. Hätte man gedacht, dass in diesem kantigen Schädel ungefügte Teilchen schweben, die vielleicht, von einem lauten »Basta!« kommandiert, ihrer Bestimmung sich erinnern und zueinander eilen?!
    Schröder! Alter Schwebe!
    Schon in den Inseraten, mit denen für die Erinnerungen des vom Autokanzler zum Autobiografen Gewordenen vor Jahren geworben wurde, lockte ein Satz von rarer Schönheit: »Mein ganzes Leben lang habe ich versucht, Grenzen immer wieder an den Horizont zu verschieben.« Da sieht man den Mann vor sich: gewaltig zunächst (»Ich mach dich los!«) an der Grenze rüttelnd, um sie aus den Verankerungen zu lösen, dann das ganze Grenzgefüge langsam vor sich hinschiebend, horizontwärts. Das erinnert an Sisyphos und soll es wohl auch, natürlich. Doch schob der einen Stein aufeinen Gipfel, von wo der Fels wieder herabrollte, worauf Sisyphos …
    Ein Berg. Ein Stein. Eine lächerliche Aufgabe verglichen mit der des Grenzenschiebers, der hinten und vorne, links und rechts von Horizonten umgeben, ja, eingekesselt ist. Und er will ja nicht nur eine Grenze, sondern »Grenzen« von Ort und Stelle bringen. Setzt also hier an und dort, verschiebt diese und jene, dabei noch behindert von allerunnützesten Figuren, Sommers und Bsirskes, Oskars und Georges. Und muss dann, auf dem Weg zum Horizont, erkennen, dass er sich jenem gar nicht nähert. Dass der Horizont zurückweicht! Ja, er muss verstehen, dass die Arbeit selbst dort am Horizont nicht zu Ende wäre. Denn, wie sang Udo Lindenberg so richtig und zutiefst wahr: »Hinterm Horizont geht’s weiter.«
    Wie müssen wir uns also Schrödyphos vorstellen? Als glücklichen Menschen?
    Er selbst beschreibt sich in solchen Situationen im Buch auf zarteste Weise. Nach dem Rücktritt Lafontaines zum Beispiel: »Als Joschka wieder draußen war und auch Heye sich verabschiedet hatte, trat ich wie immer, wenn ich eine unübersichtliche Lage zu bedenken hatte, an das bodentiefe Fenster, durch das eine späte Sonne ihre letzten Strahlen schickte. Vorfrühling und ein frühes leichtes Grün im Park des Kanzleramtes.«
    Späte Sonne, letzte Strahlen, leichtes Grün. Dazwischen noch unverschobene Grenzen. Bodentief die Fenster, bodenlos alles andere. Joschka draußen, Heye weg, überall tückisch lauernd ferne Horizonte.
    Im Kopf: Schwebeteilchen.
    Sind sie je schöner zu einem Bild gefügt worden?
SCHWAMPELDIPAMPEL
    Politiker rein in Tür, Politiker raus aus Tür, Politiker Treppe rauf, Politiker Treppe runter, Politiker winkewinke, Politiker lächellächel, Politiker auf Mikrofon zu, so geht das manchen lieben langen Tag, und immer wieder: Politiker strafft sich, reißt Mundwinkel hoch, Politiker spricht.
    He, was du sprechen zu uns, Politiker?
    Politiker zu uns sprechen folgende Wörter: sondieren, ausloten, nicht hilfreich sein, hilfreich sein, in diesem Punkt nicht hilfreich sein, frei erfunden sein, konstruktiv sein …
    Ist klar diese Wörter, ist möglich zu verstehen, was Politiker hat gesagt? Volk hat in Wahl gesprochen: Jaja, neinnein. Nun sprechen Politiker: ernsthaft, vertieft, breite Mehrheit, schlecht vorstellbar, Schnittmenge, schwampeldipampel, in den Raum stellen …
    Manchmal stellt man sich vor, es gäbe eine Politikerschule, in die man mit einer großen Tüte in der Hand eingeschult wird, und dann sitzen sie da, kleine bebrillte Bütikofers, immerzu mit den Fingern schnalzende Stieglers, nach dem Tischnachbarn tretende Schröders, die Hände faltende Stoibers, und der Lehrer sagt: Heute Morgen üben wir Ablehnen, Verhindern, Vorantreiben, Vorpreschen. In der zweiten Klasse werden wir erste Absetzbewegungen probieren, wenn wir Pech haben, stoßen wir auf Protest, dann können wir auch schon mal einen Schwenk vollziehen. In der Pause: Gedankenspiel und freies Erfinden.
    So geht das weiter, immer höher die Klassen, immer schwieriger die Fragen: Wie zerschneide ich ein Tischtuch?Wie baue ich eine Druckkulisse auf? Wie untermauere ich einen Anspruch? Wie liebäugele ich mit einer Option? Im Politikerabitur: Sprengen Sie eine Fraktion! Stellen Sie ein Wahlergebnis auf den Kopf! Entfachen Sie einen Sturm

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