WoW 02 - Der letzte Wächter
identifiziert. War dieser Wächter ein Titel oder, wie Medivhs angeblich fast unsterbliche Mutter, ein bestimmtes Wesen?
Es gab noch andere Phantome, die ebenfalls im Orbit um diesen Wächter kreisten. Eine Art Orden, eine Organisation. War der Wächter ein heiliger Ritter? Und das Wort »Tirisfal« war an den Rand eines Grimoires geschrieben und dann ausradiert worden. Doch Khadgars besondere Geschicklichkeit im Aufspüren von Geheimnissen erlaubte es ihm herauszufinden, was einst dort geschrieben stand, indem er der Spur der Feder folgte, die sich in das Pergament eingedrückt hatte. Der Name eines bestimmten Wächters? Oder einer Organisation? Oder etwas vollkommen anderes?
Es war an dem Abend, als Khadgar dieses Wort fand, vier Tage nach dem Vorfall mit dem Becher, dass der junge Mann in eine weitere Vision stürzte. Beziehungsweise die Bilder
schlichen sich an ihn heran
, umzingelten und verschlangen ihn mit Haut und Haaren!
Zuerst kam der Geruch, eine weiche, pflanzliche Wärme gesellte sich zu den verfallenden Texten der Bibliothek, ein tiefgrüner Duft, der sich langsam in dem Raum erhob. Die Hitze darin nahm zu, nicht unangenehm, jedoch wie eine warme, feuchte Zudecke. Die Wände wurden dunkler und verwandelten sich in Grün. Ranken krochen an den Seiten der Regale empor, schlängelten sich durch die dort befindlichen Bücher und ersetzten sie, während sie breite, dicke Blätter ausbildeten. Große, bleiche Mondblumen und rote Orchideen begannen zwischen aufgestapelten Schriftrollen zu sprießen.
Khadgar sog tief den Atem ein, doch eher vor erregter Erwartung denn vor Furcht. Dies war nicht die Welt des blutroten Himmels und der Orc-Armeen, die er zuvor gesehen hatte. Dies war etwas anderes. Er befand sich in einem Dschungel, aber es war ein Dschungel auf dieser Welt. Der Gedanke beruhigte ihn.
Und dann verschwand auch der Tisch, an dem Khadgar gesessen, das Buch, in dem er gelesen hatte, und Khadgar hockte an einem Lagerfeuer. Drei weitere junge Männer saßen hier. Sie schienen in etwa in seinem Alter zu sein und sich auf einer Art Expedition zu befinden. Schlafdecken waren ausgelegt worden, und ein Kochtopf, leer und bereits gewaschen, trocknete am Feuer. Alle drei trugen die Kleidung von Reitern; sie war gut geschnitten und offensichtlich von erlesener Qualität.
Die drei jungen Männer lachten und scherzten, doch wie zuvor konnte Khadgar die genauen Worte nicht verstehen. Der Blonde in der Mitte war gerade dabei, eine Geschichte zu erzählen, und nach den Bewegungen seiner Hände zu urteilen, ging es darin um eine wohl proportionierte Frau.
Der Mann zu seiner Rechten lachte und schlug sich auf die Knie, während der Blonde mit seiner Geschichte fortfuhr. Der andere strich sich mit den Fingern durchs Haar, und Khadgar bemerkte, dass es bereits aus der Stirn zurückwich. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er auf Lord Lothar blickte. Augen und Nase waren seine, das Lächeln war seines – nur das Gesicht war noch nicht wettergegerbt und der Bart noch nicht grau. Aber er war es.
Khadgar betrachtete den dritten Mann und erkannte sofort den jungen Medivh. Dieser trug dunkelgrüne Jäger-Tracht und einen Umhang, dessen Kapuze zurückgezogen war und ein junges, fröhliches Gesicht enthüllte. Seine Augen leuchteten im Licht des Lagerfeuers wie polierter Jadestein, und er bedachte die Geschichte des Blonden mit einem schüchternen Lächeln.
Der Blonde in der Mitte erreichte offenbar einen bestimmten, wichtigen Punkt in seiner Geschichte und gestikulierte in Richtung des jungen Medivh, der mit den Schultern zuckte und dem die Situation offensichtlich peinlich war. Es schien, als spiele auch der zukünftige Magier eine Rolle in der Erzählung.
Der Blonde musste Liane sein, jetzt König Liane von Azeroth. Ja, die Geschichten über die frühen Abenteuer der drei Männer hatten ihren Weg sogar in die Archive der Violetten Zitadelle gefunden. Die drei wanderten oft an den Grenzen des Königreichs, erforschten die wenig bekannten Länder und bekämpften alle Arten von Räubern und Monstern.
Liane beendete seine Geschichte, und Lothar fiel beinahe von dem Baumstamm, auf dem er saß, so sehr wurde er von Gelächter geschüttelt. Auch Medivh unterdrückte ein Lachen, indem er sich die Hand vor den Mund legte, damit es aussah, als würde er sich nur räuspern.
Lothars Gelächter klang langsam ab, und Medivh sagte etwas. Dabei öffnete er die Handflächen nach außen, um seine Aussage zu unterstreichen. Und
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