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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Dunkelheit jede Spur von Farbe. Die flachen Lehmhäuser warfen scharfe graue und schwarze Schatten. In der Luftspiegelung des Mondscheins hob sich der langgestreckte Bergkamm wie eine Tuschzeichnung vom Himmel ab, ohne Schwere, fast ohne Substanz. Die Stille der ruhenden Stadt hatte etwas Ungewohntes an sich. Nur vereinzelt flackerten Lichter, und gelegentlich war das Rumpeln eines Transsahara-Lasters von der Überlandstraße zu hören.
    Leer und blaß lagen die Gassen im Mondlicht; die junge Frau begegnete nur zwei alten, weißgekleideten Händlern, die vor einer Haustür auf kleinen Stühlen saßen und sich in der Dunkelheit flüsternd unterhielten. Die junge Frau wünschte ihnen höflich gute Nacht. Sie grüßten zurück, indem sie mit anmutiger Geste ihre Hand zuerst an ihr Herz, dann an ihre Stirn legten. Die junge Frau ging vorüber. Sie störte sich nicht an der Ratte, die wie ein kleiner schwarzer Blitz vor ihr vorbeihuschte und in einer Mauerritze verschwand.
    Sie ging mit langen, geschmeidigen Schritten, sie trug türkisfarbene Sandalen, die mit einer Schlaufe am großen Zeh befestigt waren.
    Früher wären ihr solche Sandalen unbequem gewesen. Jetzt hatte sie gelernt, mit ihnen zu gehen. Der Mann, der ihr in kurzer Entfernung folgte, hörte kaum das Schleifen ihrer Sandalen im Sand.
    Er trug einen Lederschlauch um die Schulter; bei jedem Schritt gurgelte und schwappte leise das Wasser. Später, das wußte der Mann, würde die junge Frau großen Durst haben. Weil der Mond schien, bewahrte die Luft eine eigentümliche Klarheit, und der Mann sah ihr Haar golden leuchten. Ein leichter Wind wehte. Unter den Tamariskenbäumen knisterte und prasselte der Wind wie eine geheimnisvolle Sprache der Nacht, und jedes Blatt warf seinen eigenen, beweglichen Schatten.
    Ruhig und zielstrebig wanderte die junge Frau auf den Friedhof zu.
    Sie kannte die Stelle, wo Zara ult Akhamuk im Frühling beigesetzt worden war. Stolz und eisig funkelte der Mond; die junge Frau vermeinte eine Art rhythmisches Ziehen zu spüren, sogar der Boden schien sanft zu vibrieren. Die junge Frau überließ sich ganz diesem Gefühl. Die Finsternis, deren dunkler Ring die Ebene in enger 359
    Umarmung hielt, barg für sie keinen Schrecken. In der Ferne heulte ein Hund, wie Hunde es tun, wenn sie Fremde wittern. Die junge Frau verspürte nicht das geringste Unbehagen. Das Heulen ging in Kläffen über; dann wurde es still. Nur der Wind erzeugte in der Ferne ein dumpfes, auf- und abschwellendes Dröhnen, das wie das Rauschen einer gigantischen Muschel klang. Der Geist der Wüste war der Geist des Wassers; aber dies wußten nur wenige Menschen.
    Der Friedhof war jetzt ganz nahe; die flachen Steinhaufen leuchteten im Mondlicht. Hier und da waren Stoffstreifen an einem Holzstab befestigt und am Kopfende des Grabes in den Sand gerammt. Das zeigte, daß die Gräber noch frisch waren.
    In unmittelbarer Nähe eines dieser Gräber blieb die junge Frau stehen und blickte zum Mond hinauf. Sie öffnete die Lippen, sang leise vor sich hin. Das dauerte eine ganze Weile. Sie stand völlig unbeweglich; ihr Schatten fiel fast senkrecht und war wie mit ihr verwachsen. Plötzlich hob sie die Hand. Sie sagte ein einziges Wort auf Tamahaq, das in der Stille deutlich widerhallte.
    »Jetzt!«
    Der Mann hörte das Wort; mit leichter Bewegung ließ er seinen Wasserschlauch von der Schulter gleiten und setzte sich in den Sand.
    So unbeweglich verhielt er sich jetzt, daß er einem Stein glich, dessen Umrisse sich schwarz vor der hellen Sandfläche abhoben. Die junge Frau atmete tief und regelmäßig. Sie hob das Gesicht zum Vollmond empor; es war, als zöge sie seine Kraft mit jedem Atemzug stärker in sich hinein. Dann kniete sie nieder. Sie beugte sich vor und streckte die Hand aus. Ihre Fingerspitzen berührten den Boden. Mit Bewegungen, tastend und zögernd wie die einer Blinden, zog sie mit dem rechten Zeigefinger ein großes Viereck in den Sand.
    Sie teilte das Viereck in vier gleich große Felder. Und während der ganzen Zeit, da sie diese Figur mit den Fingern in den Sand zeichnete, sah sie kein einziges Mal hin. Sie schien nichts zu sehen, nichts zu hören, doch die Konturen jeder Figur waren vollkommen symmetrisch. Nun begann sie, mit dem Zeige- und Mittelfinger der linken Hand eine Anzahl Windungen und Spiralen in jedes dieser vier Felder zu zeichnen. Das dauerte eine gewisse Zeit. Der Mann sah zum Mond empor, der nicht mehr hoch über der Ebene schien, sondern

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