Wumbabas Vermaechtnis
berichtet) eine Gymnasialschülerin, eindurchtrainiertes Wintersport-Ass in Bonn in den achtziger Jahren, beim Erdkundetest als deutsches Mittelgebirge benannte: das Rheinische Skifahrgebirge . Das Wort Schiefergebirge war ihr nicht geläufig – was sollte man im Schiefergebirge auch tun? Schiefern? Dann wäre da noch die Frage, wo die Viereckmanesen herkommen, die Herr H. aus Bingen während seiner Kindheit in der DDR in ihrem Wohnheim in der Nähe seines Elternhauses sah. Etwa aus dem fernen, rätselhaften Lande Viereckman?
Letzte Frage: Wo befindet sich Griechisch Hawaii, von dem viele Kinder hören, wenn sie Udo Jürgens lauschen?
»Griechisch Hawaii
ist so wie das Blut der Erde…«
Ist das eine frühere Kolonie? Oder ein autonomes Gebiet, so etwas wie Französisch-Polynesien?
Ach, mir gefällt, wie sich die Welt der Erwachsenen in den Köpfen der Kinder in eine andere, schönere verwandelt. Und wie das Wort Schwyzerdütsch einmal zwischen den Ohren eines achtjährigen Mädchens zu Zwitscherdütsch wurde.
6. D IE E RSCHAFFUNG NEUER S PRACHWELTEN
Manchmal begegnen dem Kind Wörter, mit denen es nichts anfangen kann, die auch niemand sonst in seiner Umgebung benutzt, deren Bedeutung es nicht kennt und denen es deshalb selbst erst eine Bedeutung geben muss. So ging es Herrn H. aus Stockdorf mit dem Begriff »Brizidan«. S. schreibt, das Wort habe er in seiner Kindheit benutzt wie andere das »Amen«, als Redewendung und Schlussformel. Aus. Ende. Vorbei. Brizidan.
Woher kam das? Und wie?
Es hatte mit Wilhelm Busch zu tun, in dessen manchmal (vielleichtnicht zu Unrecht, aber darum geht es hier nicht) unter gewissem Rassismus-Verdacht stehendem Werk Fipps, der Affe (das Herrn S. hin und wieder vorgelesen wurde) es heißt:
»Es wohnte da ein schwarzer Mann,
der Affen fing – und Brizidan.«
S. rätselte so lange an dem edel-seltsamen Begriff herum, bis er eines Tages Busch selbst las und entdeckte, dass es hieß: »… der Affen fing und briet sie dann.«
7. D ER S INN fÜR DAS W UNDERBARE
Ein schönes Beispiel liefert uns hier der Brief von Frau B. aus Flensburg, die mit ihrem Mann viel segelt. Oft sind auch Familien von Freunden dabei, einmal zum Beispiel die fünfjährige Chiara, die beim gemeinsamen Singen eines Nachmittags folgendermaßen in den Text einstimmte:
»Alle, die mit uns auf Körperfahrt fahren,
müssen Männer mit Bärten sein.«
Natürlich hat dieses Missverständnis viel damit zu tun, dass sich keine Fünfjährige vorstellen kann, was eine »Kaperfahrt« sein könnte. Aber interessant ist, dass ihr die »Körperfahrt« offensichtlich eher ein Begriff ist. Frau B. schreibt, sie habe sich darunter »bärtige Seemänner mit ziemlich ansehnlichen Körpern« vorgestellt. Aber müssen wir nicht, da wir von der Phantasie eines unschuldigen Kindes ausgehen, den Begriff weiter fassen, vielleicht auch gelöst vom Seemannsliedtext, ja, über diesen hinausweisend? Man hat das Leben ja schon immer als Seelenreise verstanden, aber hier wird uns durch die plötzlich-schiere Existenz des Begriffs vor Augen geführt, dass es eben auch eine Körperfahrt ist.
Ergänzend kommt mir der Brief von Frau K. aus Halle in den Sinn,die einst mit den Eltern beim Abendessen immer Radio hörte, unter anderem eine Sendung namens Pulsschlag der Zeit . Wobei die kleine K. hörte, dass die Sendung Holzschlag der Zeit hieß. Nun hat die Zeit weder einen Pulsnoch einen Holzschlag, sie läuft lautlos ganz regelmäßig ab. Aber wenn wir uns zwischen beiden Sprachbildern entscheiden müssten, dann bin ich als alter Körperfahrer doch für den Holzschlag und seinen harten, ehrlichen Sound. Sind wir nicht alle Bäume, in die das Leben seine Kerben schlägt?
Da wir gerade beim größten aller Menschheitsthemen sind …
Frau S. aus Weidach bei Coburg erzählt aus ihrem Lehrerinnen-Alltag, die Kinder einer dritten Klasse hätten den Text folgenden Liedes aufschreiben sollen, das sie zuvor gehört hatten:
»Ich bin das ganze Jahr vergnügt,
im Frühling wird das Feld gepflügt,
dann steigt die Lerche hoch empor
und singt ihr frohes Lied mir vor…«
Ein Kind aber schrieb nieder:
»Ich bin das ganze Jahr vergnügt,
im Frühling wird das Feld gepflügt,
dann steigt die Leiche hoch empor
und singt ihr frohes Lied mir vor…«
Ist das nicht ein wumbabares Bild? Diese Himmelfahrt? Dass der Tote, ein frohes Lied auf den Lippen, in den Frühlingshimmel steigt, am Ende einer langen Körperfahrt? Ergreifend.
Wie auch
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