Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
einer kommen.«
    »Na, hoffentlich haben Sie recht.«
    »Ungemütliches Wetter.«
    »Ja.« Er ärgerte sich. Das hatte so abschließend geklungen, dabei hätte er sich gerne noch weiter mit ihr unterhalten. Wenn sie schon beide hier warten mußten, konnten sie wenigstens miteinander reden. Sie schien ähnlich zu denken wie er, hatte aber offenbar nicht seine Hemmungen.
    »Wollen Sie nach Oxford?«
    »Ja. Ich möchte den Zug um 8 Uhr 35 nach London erwischen.«
    »Den kriegen Sie noch.« Sie zog ihren glänzenden Plastikmantel aus und schüttelte die Tropfen ab. Unwillkürlich blickte er auf ihre Beine – schlank, fast mager, aber mit schön geformten Fesseln. Er spürte eine leichte Erregung. Der Whisky …
    »Wohnen Sie in London?«
    »Nein, zum Glück nicht. Ich lebe in Surrey.«
    »Wollen Sie da heute noch hin?«
    Das genau war die Frage. »Wenn man erst in London ist, geht es schnell.« Sie schwieg. »Und Sie wollen heute abend nach Oxford?« fragte er.
    »Ja. Hier ist ja nichts los«, sagte sie in mauligem Ton. Sie war wohl doch jünger, als er zuerst gedacht hatte. Fast noch ein Kind. Ihre Blicke trafen sich, und einen Moment lang sahen sie einander in die Augen. Verstohlen betrachtete er ihren Mund. Wirklich, ein schöner Mund. Er genoß es, hier bei ihr zu stehen – vielleicht ein bißchen mehr, als er eigentlich sollte. Aber der Bus mußte ja gleich kommen. Er lächelte sie an. »Und im großen, bösen Oxford läßt sich was erleben?« In seiner Stimme lag gutmütiger Spott.
    Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und streifte ihn mit einem gar nicht kindlichen Blick. »Kommt drauf an, was man will.« Er brauchte nicht darauf einzugehen, denn in diesem Augenblick fuhr ein roter Doppeldeckerbus an die Haltestelle, und ein Schwall schmutzigbraunen Regenwassers ergoß sich über seine auf Hochglanz polierten schwarzen Schuhe. Die automatischen Türen öffneten sich geräuschvoll, und er trat zur Seite, um das Mädchen vorzulassen. Den Fuß auf der Treppe zum Oberdeck, drehte sie sich zu ihm um: »Kommen Sie auch hoch?«
    Oben war es leer. Sie setzte sich ganz nach hinten und lächelte einladend. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Er hatte eigentlich auch nichts dagegen.
    »Haben Sie eine Zigarette für mich?«
    »Nein, tut mir leid. Ich rauche nicht.« Er empfand ihre Bitte als aufdringlich. Wollte sie sich an ihn heranmachen? Vermutlich hatte sie ihn nach seiner Kleidung taxiert, dem korrekten dunklen Anzug, dem weißen Hemd, der Krawatte, die ihn als ehemaligen Cambridge-Studenten auswies, dem gediegenen Mantel sowie seiner schwarzen Lederaktentasche, und hielt ihn für einen gutsituierten Londoner Geschäftsmann. Vielleicht war sie darauf aus, daß er ihr in einer Lounge-Bar ein paar teure Drinks spendieren würde, aber da hatte sie sich getäuscht. Nach der Fahrt würde er sich sofort von ihr verabschieden. Fast gegen seinen Willen wandte er ihr sein Gesicht zu und spürte sofort wieder, wie sie ihn auf eine merkwürdige Art und Weise anzog. Sie nahm den durchsichtigen Regenhut ab und schüttelte ihr langes dunkles Haar. Es duftete frisch gewaschen.
    Der Schaffner schlurfte auf sie zu und blieb vor ihnen stehen.
    »Zweimal nach Oxford, bitte.« Er hatte es gesagt, ohne zu überlegen.
    »Und wohin genau?« Es klang unfreundlich.
    »Ja, also – ich will zum Bahnhof«, sagte er zögernd.
    Sie traf die Entscheidung: »Zweimal zum Bahnhof, bitte.«
    Der Schaffner gab ihnen die Fahrkarten und stieg müde wieder nach unten.
    Darauf war er nicht vorbereitet gewesen, und er wußte auch nicht, was er hätte sagen sollen. Sie schob ihren Arm unter seinen und drückte sanft seinen Ellbogen an sich. »Der würde bestimmt gerne wissen, was wir vorhaben.« Sie kicherte übermütig. »Jedenfalls vielen Dank, daß Sie für mich mitbezahlt haben.« Sie beugte sich zu ihm herüber und küßte ihn leicht auf die Wange.
    »Sie haben vorhin gar nicht erwähnt, daß Sie auch zum Bahnhof wollen.«
    »Will ich auch eigentlich gar nicht.«
    »Wohin wollen Sie denn dann?«
    Sie rückte zutraulich näher. »Weiß nicht.«
    Einen schrecklichen Augenblick lang befürchtete er, daß sie etwas beschränkt sei. Dann mußte er über sich selbst lächeln. Nein, sie war nicht zurückgeblieben, ganz im Gegenteil; sie wußte besser, was lief, als er. Er war erleichtert, als der Bus vor dem Bahnhof hielt. Erst 8 Uhr 17. Noch über eine Viertelstunde, bis sein Zug fuhr.
    Sie stiegen zusammen aus. Vor dem Bahnhofseingang unter

Weitere Kostenlose Bücher