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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Vorspiel
     
    Der Zug auf Gleis eins fahrt in Kürze ab
     
    Er war recht zufrieden mit sich. Natürlich ließ sich noch nichts Bestimmtes sagen, aber doch, ja – er hatte seine Sache gut gemacht. Er rief sich die einzelnen Phasen des Gesprächs noch einmal ins Gedächtnis zurück: ihre Fragen – klug und zugleich auch wieder töricht – und seine sorgfältig überlegten und, da war er sicher, gut formulierten Antworten. Zwei oder drei erschienen ihm im nachhinein besonders gelungen, und in der Erinnerung daran huschte, während er da stand und wartete, ein flüchtiges Lächeln um seinen energischen, gutgeschnittenen Mund.
    Eine der Fragen hatte gelautet: »Meinen Sie nicht, daß Sie für dieses Amt noch etwas zu jung sind?«
    Seine Erwiderung war ihm noch im Wortlaut gegenwärtig: »Da haben Sie sicher nicht ganz unrecht. Es ist ein sehr verantwortungsvoller Posten, und ich bin überzeugt, daß es Zeiten geben wird, wo ich immer – vorausgesetzt, daß Sie mir diese Aufgabe anvertrauen – dankbar auf den Rat von Älteren und Erfahreneren zurückgreifen werde.« Einige der betagteren Kommissionsmitglieder hatten bedeutungsvoll genickt. »Leider steht es nicht in meiner Macht, falls die fehlenden Jahre ein Hinderungsgrund sein sollten, daran etwas zu ändern. Das einzige, was ich Ihnen versprechen kann, ist, daß dieses Manko – wenn es denn von Ihnen als solches empfunden wird – im Laufe der Zeit von selbst verschwindet.«
    Ein geschicktes Argument, wenn auch nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen. Er hatte es von einem früheren Kollegen, der sich rühmte, als erster daraufgekommen zu sein und es mit Erfolg eingesetzt zu haben. Der gedämpften Heiterkeit und dem wohlwollenden Gemurmel nach zu urteilen, hatte es auch hier die beabsichtigte Wirkung erzielt. Und keines der dreizehn Mitglieder des Gremiums schien es vorher schon einmal gehört zu haben.
    Man würde sehen.
    Wieder lächelte er und sah auf die Uhr. Halb acht. Seinen Zug um 8 Uhr 35 würde er auf jeden Fall noch bekommen. Ankunft in London 9 Uhr 42, dann durch die Stadt zum Bahnhof Waterloo. Gegen Mitternacht könnte er zu Hause sein, vorausgesetzt, er hatte ein bißchen Glück mit dem Anschluß. Doch darüber machte er sich im Augenblick nicht allzu viele Gedanken. Er fühlte sich sehr unbeschwert, in einer Art Aufbruchsstimmung und im Einklang mit sich und der Welt. Ob das an den beiden doppelten Whisky lag, die er sich vorhin, nachdem alles vorbei war, genehmigt hatte? Er würde die Stelle bekommen. Auf einmal war er fest davon überzeugt.
    Jetzt war Februar. Seine Kündigungsfrist betrug ein halbes Jahr. Er zählte die Monate an den Fingern ab: März, April, Mai, Juni, Juli, August. Das würde also keine Probleme geben.
    Er ließ seinen Blick über die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite wandern. Ziemlich elegant. Vier Schlafzimmer, große Gärten. Er würde sich eines dieser kleinen Treibhäuser anschaffen, die in Fertigteilen geliefert wurden, und Tomaten ziehen, vielleicht auch Gurken wie Diokletian – oder verwechselte er den jetzt mit Hercule Poirot?
    Er trat aus dem scharfen Wind zurück in das hölzerne Wartehäuschen. Es hatte wieder zu nieseln begonnen. Ab und zu sauste auf der nassen Straße zischend ein Auto vorbei. Die Fahrbahn hatte im Licht der Peitschenmasten einen orangefarbenen Schimmer … Dumm, daß sie kurz vor Schluß noch auf seine Dienstzeit bei der Armee zu sprechen gekommen waren.
    »Sie sind also nicht als Offizier entlassen worden?«
    »Nein.«
    »Gab es dafür einen bestimmten Grund?«
    »Ich glaube, ich war nicht gut genug. Ich meine, zum damaligen Zeitpunkt. Als Offizier muß man bestimmte Voraussetzungen mitbringen …« Er geriet ins Schwimmen, zwang sich aber weiterzureden. Nur nicht stocken, sich nichts anmerken lassen! »Und ich war … also, ich brachte diese Voraussetzungen einfach nicht mit. Damals trat eine große Zahl sehr befähigter Männer in die Armee ein, die mir, was natürliche Autorität und Selbstvertrauen anging, überlegen waren.« Keine Entschuldigungen oder Ausflüchte. Selbstkritisch.
    Ein pensionierter Oberst und ein Major a. D. nickten beifällig. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte er soeben zwei weitere Stimmen gewonnen.
    Es war immer dasselbe bei diesen Einstellungsgesprächen. Man mußte möglichst dicht an der Wahrheit bleiben, durfte jedoch nicht den Fehler begehen, wirklich aufrichtig zu sein. Fast alle Männer, mit denen er in der Armee näher zu tun gehabt hatte,

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