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Wut

Wut

Titel: Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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sogar ein Literatur-Festival; sowie eine Anzahl ausgelassener Festzüge, mit denen die zahlreichen ethnischen, nationalen und sexuellen Subkulturen der Stadt gefeiert wurden und die (zuweilen) in Messerstechereien und Überfällen auf (fast immer) Frauen endeten. Professor Solanka, der sich für einen eingefleischten Egalitarier und einen in der Wolle gefärbten Großstädter der Abteilung Landluft-ist-für-Kühe hielt, marschierte an Festzugstagen Schulter an verschwitzter Schulter mit seinen Mitbürgern. An einem Sonntag ging er Arm in Arm mit schmalhüftigen Epheben-Tänzern, am nächsten Wochenende tänzelte er an der Seite einer jungen, quadratarschigen Puertoricanerin, die ihre Nationalflagge als BH trug. Inmitten dieses dichten Gewühls fühlte er sich keineswegs belästigt; im Gegenteil. Die Menge bot ihm eine beruhigende Anonymität, das Gegenteil von Belästigung. Hier interessierte sich niemand für seine Geheimnisse. Alle waren gekommen, sich gehenzulassen. So war die heimliche Magie der Massen zu erklären, und für Professor Solanka ging es zur Zeit nur darum, sich gehenzulassen. An diesem besonderen, verregneten Wochenende lag ein Calypso-Rhythmus in der Luft, nicht Harry Belafontes Jamaika-Abschiedsgesänge und einfältigen Songs, die Solanka irgendwie schuldbewußt in Erinnerung hatte ( Now I tell you in a positive way/ dont tie me donkey down dere! ), sondern die echte, satirische Musik der jamaikanischen Troubadour-Polemiker, Banana Bird, Cool Runnings, Yellowbelly, live im Bryant Park und auf schulterhohen Lautsprecherboxen den ganzen Broadway hinauf und hinab. Als er von der Parade nach Hause kam, wurde Professor Solanka jedoch von einer Melancholie befallen, von seiner üblichen, geheimgehaltenen Traurigkeit, die er in der Öffentlichkeit sublimierte. Irgend etwas war verkehrt an der Welt. Nachdem er mit der optimistischen Peace-and-Love-Philosophie seiner Jugend nichts mehr anfangen konnte, wußte er nicht mehr, wie er sich an eine immer unechtere (in diesem Zusammenhang verabscheute er das sonst so großartige Wort virtuell ) Welt gewöhnen sollte. Machtfragen drängten sich ihm auf. Wenn sich die überhitzten Bürger schon endlosen Tagediebereien hingaben, wer vermochte da noch zu sagen, was die Herrscher der Stadt im Schilde führten - nicht die Giulianis und Safirs, die auf die Beschwerden mißhandelter Frauen und auf Amateurvideos von Zwischenfällen, die in den Abendnachrichten gezeigt wurden, so verächtlich reagierten, nicht diese kruden Marionetten, sondern die von wirklich ganz oben, die immer da waren, immer wieder ihren unersättlichen Begierden nachgaben, nach immer Neuem suchten, Schönheit verschlangen und immer, immer wieder mehr wollten? Die niemals in Erscheinung tretenden, doch ständig anwesenden Könige der Welt - der gottlose Malik Solanka vermied es, diesen menschlichen Phantomen die Gabe der Allgegenwart zuzugestehen die schmollenden, tödlichen Cäsaren, wie sein Freund Rhinehart sagen würde, die seelenkalten Bolingbrokes, die Tribune mit den Händen im ... des im Dienste des Bürgermeisters und des Polizeipräsidenten stehenden Coriolanus. Bei dieser letzten Vorstellung erschauerte Professor Solanka. Er kannte sich selbst gut genug, um sich der dicken, scharlachroten Ader der Vulgarität in seinem Charakter bewußt zu sein; dennoch erschreckte ihn das geschmacklose Wortspiel, wenn er daran dachte.
    Wir werden alle von Puppenspielern gelenkt, die uns springen und kreischen lassen, dachte Malik Solanka verärgert. Doch während wir Marionetten tanzen - wer zieht an unseren Fäden?
    Als er zur Haustür hereinkam - der Regen troff ihm noch vom Hutrand -, klingelte das Telefon. Er meldete sich barsch, riß den schnurlosen Apparat ungeduldig von seiner Station in der Diele seiner Wohnung. »Ja, bitte? Was ist?« Die Stimme seiner Frau drang an sein Ohr, via Kabel auf dem Boden des Atlantik, oder heutzutage, da sich alles änderte, über einen Satelliten hoch oben über dem Ozean, er konnte es nicht sagen. Heutzutage, da das Zeitalter der Impulse dem Zeitalter des Tones wich. Da die Epoche des Analogons (das hieß, auch der Reichtum der Sprache, der Analogie) der digitalen Ära wich, dem endgültigen Sieg des Numerischen über das Literarische. Er hatte ihre Stimme immer geliebt. Vor fünfzehn Jahren hatte er in London Morgen Franz angerufen, einen Verleger-Freund, der zufällig nicht an seinem Schreibtisch saß, und Eleanor Masters, die gerade vorüberkam, hatte den

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