Wut
schrillenden Apparat aufgenommen; sie kannten sich überhaupt noch nicht, sprachen aber über eine Stunde miteinander. Eine Woche später dinierten sie in ihrer Wohnung, und keiner von beiden erwähnte, wie unschicklich eine so intime Örtlichkeit für eine erste Verabredung war. Darauf folgten anderthalb Jahrzehnte des Zusammenlebens. So verliebte er sich in ihre Stimme, bevor er sich in den Rest von ihr verliebte. Das war stets ihre Lieblingsgeschichte über ihre erste Begegnung gewesen; jetzt, im Verlauf der brutalen Folgen der Liebe, da die Erinnerung als Schmerz neu erfunden wurde, da Stimmen am Telefon alles waren, was übrigblieb, war sie zu einer der traurigsten geworden. Professor Solanka lauschte auf den Klang von Eleanors Stimme und stellte sich mit einem Anflug von Abscheu vor, wie sie in winzige Teilchen digitalisierter Information zerlegt wurde, wie ihre leise, bezaubernde Stimme von einem Mainframe-Computer, der vermutlich irgendwo an einem Ort wie Hyderabad-Deccan stand, zuerst verschlungen und dann wieder herausgewürgt wurde. Was ist das digitale Äquivalent von bezaubernd? fragte er sich. Welche Digits verschlüsseln Schönheit, welche Ziffern-Finger umschließen, übertragen, dekodieren sie, ohne dabei ihre Seele einzufangen oder zu ersticken? Nicht wegen, sondern trotz der Technologie gelangt die Schönheit, dieses geistergleiche Phänomen, dieser Schatz, unbeeinträchtigt durch die neuen Maschinen.
»Malik. Solly .« (Dies, um ihn zu ärgern.) »Du hörst nicht zu. Du läßt deine Gedanken abschweifen, und die schlichte Tatsache, daß dein Sohn krank ist, ist nicht mal zu dir durchgedrungen. Die schlichte Tatsache, daß ich jeden Morgen aufwachen und mir anhören muß, wie er mich fragt - unerträglich oft fragt -, warum sein Vater nicht zu Hause ist, ist nicht zu dir durchgedrungen. Ganz zu schweigen von der schlichtesten Tatsache von allen, daß du uns nämlich ohne den Hauch eines Grundes oder die Andeutung einer glaubhaften Erklärung einfach verlassen hast, nach Amerika gegangen bist und alle verraten hast, die dich am meisten brauchen und lieben, und das tun wir, verdammt noch mal, trotz allem immer noch.« Es war nur ein Husten, dem Jungen fehlte nichts Lebensgefährliches, aber sie hatte recht: Professor Solanka hatte sich in sich selbst zurückgezogen. In dieser unbedeutenden Frage des Telefongesprächs ebenso wie in der wichtigeren ihres ehemals gemeinsamen, nunmehr jedoch einsamen Lebens, ihrer Ehe, die früher für unauflöslich gehalten wurde, für die beste Partnerschaft, die je einer ihrer Freunde erlebt hatte; und in der Elternpflicht für Asmaan Solanka, inzwischen ein unglaublich schöner und sanftmütiger Dreijähriger, das auf wundersame Weise blonde Produkt seiner dunkelhaarigen Eltern, dem sie diesen himmlischen Namen (Asmaan, n., m., lit. der Himmel, aber auch fig. das Paradies) gegeben hatten, weil er der einzige Himmel war, an den sie beide von ganzem Herzen und rückhaltlos glauben konnten.
Professor Solanka entschuldigte sich bei seiner Frau für seine Geistesabwesenheit, woraufhin sie weinte, ein lautes, blökendes Geräusch, das ihm das Herz zerriß, denn er war keineswegs ein herzloser Mensch. Stumm wartete er, bis sie aufhörte. Als sie verstummte, sprach er in seinem sachlichsten Ton und versagte sich - versagte ihr - auch die geringste Gemütsregung. »Ich gestehe dir zu, daß dir das, was ich getan habe, absolut unverständlich erscheinen muß. Ich erinnere dich jedoch an das, was du mich über die Bedeutung des Unerklärlichen« - hier legte sie auf, aber er führte den Satz trotzdem zu Ende - »bei, äh, Shakespeare gelehrt hast.« Welchletzter ungehört verhallender Schluß das Bild seiner nackten Ehefrau hervorrief, der Eleanor Masters von vor fünfzehn Jahren, wie sie in ihrer langhaarigen, fünfundzwanzigjährigen Glorie splitternackt mit dem Kopf auf seinem Schoß lag, mit einem zerlesenen Exemplar der Gesammelten Werke, in blaues Leder gebunden, umgekehrt auf ihrem Schamhaar. Das war der unschickliche, aber wundervolle Abschluß jenes ersten Dinners gewesen. Er hatte den Wein mitgebracht, während sie ihm eine Lammkeule gebraten und auch serviert hatte, drei Flaschen eines teuren Tignanello Antinori (drei! Beweis für den Überschwang eines Verführers), als Getränk zu dem mit Kreuzkümmel gewürzten Fleisch, einem Salat aus frischen Kräutern. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid und schritt federleicht und barfuß durch eine Wohnung, der man den
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