Wut
unmittelbaren Umgebung und verfremdete es durch die Alchimie der Kunst. Diese Erkenntnis, das, was Eleanor als Blitzlichtmoment bezeichnet hätte, führte letztlich zu einer Serie von Great Mind -Puppen, häufig als kleine Stilleben arrangiert - Bertrand Russell, wie er bei einer Pazifistenversammlung im Krieg von Polizisten zusammengeschlagen wurde, Kierkegaard, wie er nur für die Pause in die Oper ging, damit seine Freunde nicht dachten, er arbeite zuviel, Machiavelli, wie er der grausamen Folter des sogenannten strappado unterworfen wurde, Sokrates, wie er den unvermeidlichen Schierlingsbecher trank, und Solankas Liebling, ein zweigesichtiger, vierarmiger Galileo: Ein Gesicht murmelte fast lautlos die Wahrheit, während ein Paar Arme, in den Falten seiner Gewänder verborgen, ein winziges Modell der Erde, die sich um die Sonne dreht, versteckten; das andere Gesicht, niedergeschlagen und reuig unter dem strengen Blick der Männer in den roten Röcken, widerrief sein Wissen öffentlich, während das zweite Paar Arme frömmelnd eine Bibel umklammert hielt. Jahre später, als Solanka die akademische Welt verließ, sollten diese Puppen für ihn arbeiten. Sie und der wissensdurstige Fragesteller, den er kreierte, um sie zu interviewen, sowie die Stellvertreterin der Zuhörer, die weibliche zeitreisende Puppe Little Brain , die später als Braingirl ein Star werden und in großer Zahl auf der ganzen Welt verkauft werden sollte. Little Brain, sein flotter, modebewußter, doch immer noch idealistischer Candide, sein Edler Kämpfer für die Wahrheit in Stadt-Guerilla-Klamotten, sein Stachelkopf Mädchen-Basho mit der Bettelschale in der Hand auf Reisen weit in die Tiefen Nordjapans hinein.
Das Braingirl war aufgeweckt, flott, furchtlos, ehrlich an Tiefeninformationen, am Erwerb erstklassigen Wissens interessiert; nicht so sehr Schülerin als agent provocateur mit einer Zeitmaschine, verleitete sie die Großen Geister aller Zeiten zu überraschenden Offenbarungen. So stellte sich zum Beispiel heraus, daß der Lieblings-Romanautor Baruch Spinozas, des Ketzers aus dem siebzehnten Jahrhundert, RG. Wodehouse war, ein erstaunlicher Zufall, denn der Lieblingsphilosoph des unsterblichen, Shimmy tanzenden Butlers Reginald Jeeves war Spinoza. (Spinoza, der unsere Fäden durchschnitt, der Gott erlaubte, vom Posten des göttlichen Puppenspielers zurückzutreten, und der glaubte, diese Offenbarung sei ein Ereignis gewesen, das nicht einfach so über die Menschheitsgeschichte gekommen ist, sondern in ihr gesteckt habe. Spinoza, der niemals unpassende Hemden oder Krawatten trug.) Die Großen Denker in Braingirls Abenteuerkonnten aber ebenfalls Zeitspringer sein. Der ibero-arabische Denker Averroes war, wie sein jüdisches Gegenstück Maimonides, ein begeisterter Fan der Yankees.
Nur einmal ging das Braingirl zu weit. Bei ihrem Interview mit Galileo Galilei legte sie dem großen Mann auf die biersaufende Fäkalsprachen-Art der neuen ladettes ihre eigene Keiner verarscht mich -Meinung zu seinen Problemen dar. »O Mann, mit mir hätten die das nicht machen können.« Eindringlich beugte sie sich vor und sagte hitzig: »Wenn so ’n Pope versucht hätte, mich zum Lügen zu zwingen, hätt’ ich sofort ’ne Scheiß-Revolution angezettelt, hätt’ ich. Die Bude überm Kopf hätt ich ihm abgefackelt. Seine ganze Scheißstadt niedergebrannt.« Nun ja, die schlimmsten Ausdrücke wurden schon in einem frühen Stadium der Produktion zu Mist abgemildert, aber das war nicht das Problem. Brandstiftung im Vatikan war für die Bosse der Ätherwellen zuviel, und das Braingirl mußte zum erstenmal die lähmende Demütigung der Zensur erleiden. Und konnte nichts dagegen tun, es sei denn, mit Galileo zusammen die Wahrheit flüstern: Und sie bewegt sich doch. Ich hätte auch gern alles in Flammen aufgehen lassen ...
Zurück nach Cambridge. Selbst Solly Solankas erste Versuche - seine Raumstationen und kokonähnlichen Konstruktionen zum Zusammenbauen auf dem Mond - zeigten eine Originalität und Erfindungsgabe, die, in der Tischgesprächs-Meinung eines Spezialisten für französische Literatur, der sich mit Voltaire beschäftigte, seinem eigenen Werk erfreulicherweise fremd sei. Dieses Bonmot wurde von allen, die in Hörweite saßen, mit schallendem Gelächter quittiert.
Erfreulicherweise fremd . So spricht man in Oxbridge, dort macht man diese scherzhaften Beleidigungen, die ganz und gar nicht ernst gemeint und zugleich doch tödlich ernst sind.
Weitere Kostenlose Bücher