Xenozid
Jane.
»Ich werde sie nicht einmal verstehen.«
»Dann werde ich dir helfen«, sagte Meister Han.
»Das ist nicht rechtens«, sagte Wang-mu. »Ich bin nicht Qing-jao. Es wäre eine Aufgabe für sie, nicht für mich.«
»Ich habe dich und Qing-jao während des gesamten Prozesses beobachtet, der zu meiner Entdeckung führte«, sagte Jane. »Viele der wesentlichen Einsichten kamen von dir, Si Wang-mu, und nicht von Qing-jao.«
»Von mir? Ich habe nicht einmal versucht…«
»Du hast es nicht versucht. Du hast beobachtet. Du hast Schlüsse gezogen. Du hast Fragen gestellt.«
»Törichte Fragen«, sagte Wang-mu. Doch in ihrem Herzen war sie froh: Jemand hatte es gesehen!
»Fragen, die kein Experte jemals gestellt hätte«, erklärte Jane. »Doch es waren genau die Fragen, die Qing-jao zu ihren wichtigsten Erkenntnissen führten. Vielleicht sprechen die Götter nicht zu dir, Wang-mu, doch du hast deine eigenen Begabungen.«
»Ich werde lesen und Fragen stellen«, sagte Wang-mu, »doch ich werde auch Gewebeproben sammeln. Alle Gewebeproben, damit Meister Han nicht mit diesen gottberührten Besuchern sprechen und ihnen zuhören muß, wie sie ihn für eine schreckliche Sache loben, die er nicht getan hat.«
Meister Han war noch immer dagegen. »Ich weigere mich, dich…«
Jane unterbrach ihn. »Han Fei-tzu, sei klug. Wang-mu ist als Dienerin unsichtbar. Du als Herr des Hauses bist so unauffällig wie ein Tiger auf einem Spielplatz. Nichts, was du tust, bleibt unbemerkt. Laß Wang-mu tun, was sie am besten kann.«
Kluge Worte, dachte Wang-mu. Doch warum bittest du mich, die Arbeit von Wissenschaftlern zu tun, wenn jede Person das tun sollte, was sie am besten kann? Aber sie schwieg. Jane ließ sie anfangen, indem sie sich selbst Gewebeproben entnahmen; danach schickte sich Wang-mu an, Gewebeproben vom Rest des Haushalts zu sammeln. Das meiste, was sie brauchte, fand sie an Kämmen und schmutziger Kleidung. Innerhalb von ein paar Tagen hatte sie Proben von einem Dutzend gottberührter Besucher gesammelt, die meisten ebenfalls von deren Kleidung. Niemand mußte Stuhlproben sammeln. Doch sie wäre dazu bereit gewesen.
Qing-jao bemerkte sie natürlich, ignorierte sie jedoch. Es schmerzte Wang-mu, daß Qing-jao sie so kalt behandelte, denn sie waren einmal Freundinnen gewesen, und Wang-mu hatte sie noch immer gern, zumindest die junge Frau, die Qing-jao vor der Krise gewesen war. Doch Wang-mu konnte nichts sagen oder tun, um ihre Freundschaft wiederherzustellen. Sie hatte einen anderen Weg gewählt.
Wang-mu hielt alle Gewebeproben sorgfältig voneinander getrennt und beschriftet. Doch anstatt sie zu einem medizinischen Labor zu bringen, fand sie eine viel einfachere Möglichkeit, sie untersuchen zu lassen. Sie zog alte Gewänder von Qing-jao an, so daß sie wie eine gottberührte Studentin und nicht wie ein Dienstmädchen aussah, ging sie zur nächsten Universität, sagte dort, sie arbeite an einem Projekt, dessen Natur sie nicht enthüllen könne, und bat bescheiden um eine Untersuchung der Gewebeproben. Wie erwartet, stellte man einer Gottberührten keine Fragen, nicht einmal einer völlig Fremden. Sie führten die Molekularuntersuchungen durch, und Wang-mu konnte nur davon ausgehen, daß Jane wie versprochen die Kontrolle über den Computer übernommen und alle Untersuchungen durchgeführt hatte, die Ela benötigte.
Auf dem Rückweg von der Universität verbrannte Wang-mu alle Proben und den Bericht, den sie bekommen hatte. Jane hatte, was sie brauchte, und Wang-mu wollte das Risiko vermeiden, daß Qing-jao oder vielleicht ein Diener im Haus, der für den Kongreß spionierte, herausfand, daß Han Fei-tzu ein biologisches Experiment durchführte. Und es war ausgeschlossen, daß jemand sie, die Dienerin Si Wang-mu, als die junge Gottberührte erkannte, die die Universität besucht hatte. Niemand, der nach einer Gottberührten suchte, würde einer Dienerin wie ihr auch nur einen Blick widmen.
»Also hast du deine Frau verloren, und ich meine«, sagte Miro.
Ender seufzte. Gelegentlich wurde Miro redselig, und da die Verbitterung immer in seinen Worten lauerte, pflegten seine Plaudereien stets zur Sache zu kommen. Ender konnte ihm seine Gesprächigkeit nicht übelnehmen – er und Valentine waren fast die einzigen Menschen, die Miros langsamer Sprache zuhören konnten, ohne ihm anzudeuten, er solle sich beeilen. Miro verbrachte so viel Zeit mit seinen angehäuften, nicht zum Ausdruck gebrachten Gedanken, daß es
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