Xenozid
Andrew, wenn er das Thema darauf bringt.«
»Was für eine seltsame moralische Argumentation ist das?«
»Du vergißt, daß sie erst vor kurzem die Existenz anderen intelligenten Lebens entdeckt hat und es fast vernichtet hätte. Dann hat dieses andere intelligente Leben beinahe sie vernichtet. Aber ihre moralische Einstellung wurde viel stärker von der Tatsache beeinflußt, daß sie selbst beinahe das Verbrechen des Xenozids begangen hätte. Sie kann andere Spezies nicht davon abhalten, so etwas zu tun, aber sie kann sicherstellen, daß sie selbst es nicht mehr tut. Sie wird nur noch töten, wenn das die einzige Hoffnung ist, die Existenz ihrer Spezies zu retten. Und da sie eine andere Hoffnung hat, wird sie kein Kriegsschiff bauen.«
»Überlichtschnelle Reise«, sagte Meister Han. »Ist das deine einzige Hoffnung?«
»Die einzige, die mir einfällt, in der der Schimmer einer Möglichkeit liegt. Zumindest wissen wir, daß sich etwas im Universum überlichtschnell bewegt – Informationen werden ohne feststellbaren Zeitverlust von einem Verkürzer zum anderen am philotischen Strang entlanggeschickt. Ein intelligenter junger Physiker auf Lusitania, der im Augenblick im Gefängnis sitzt, verbringt seine Tage und Nächte mit der Arbeit an diesem Problem. Ich führe alle Berechnungen und Simulationen für ihn durch. In genau diesem Augenblick testet er eine Hypothese über die Natur der Philoten, indem er ein so komplexes Modell benutzt, daß ich allein für den Ablauf des Programms Rechenzeit der Computer von fast tausend verschiedenen Universitäten stehle. Es gibt Hoffnung.«
»Solange man lebt, gibt es Hoffnung«, sagte Wang-mu. »Wer wird so umfangreiche Experimente für ihn durchführen, sobald du tot bist?«
»Deshalb ist die Sache ja so dringend«, sagte Jane.
»Wofür brauchst du mich?« fragte Meister Han. »Ich bin kein Physiker, und es besteht keine Aussicht, daß ich in den nächsten paar Monaten genug lernen kann, um dir irgendwie helfen zu können. Wenn überhaupt, kann es dein im Gefängnis sitzender Physiker schaffen. Oder du selbst.«
»Jeder braucht einen unbefangenen Kritiker, der sagt: Hast du daran gedacht? Oder auch: Schluß mit dieser Sackgasse, steige auf einen anderen Gedankengang um. Dafür brauche ich dich. Wir werden dir unsere Arbeit zur Verfügung stellen, und du wirst sie begutachten und dazu sagen, was immer dir einfällt. Du kannst nicht wissen, welches zufällige Wort von dir die Idee auslösen wird, nach der wir suchen.«
Meister Han nickte, um die Möglichkeit einzugestehen.
»Das zweite Problem, an dem ich arbeite, ist noch komplizierter«, sagte Jane. »Ob wir nun eine überlichtschnelle Reise entwickeln oder nicht, einige Pequeninos werden Sternenschiffe haben und den Planeten Lusitania verlassen können. Das Problem ist, daß sie den heimtückischsten und schrecklichsten Virus in sich tragen, den wir jemals entdeckt haben, einen Virus, der jede Lebensform vernichtet, mit der er in Berührung kommt, abgesehen von den wenigen, die er in eine deformierte Art symbiotischen Lebens verwandeln kann, die völlig vom Vorhandensein dieser Viren abhängig ist.«
»Die Descolada«, sagte Meister Han. »Eine der Berechtigungen, daß die Flotte den Kleinen Doktor überhaupt mitführt.«
»Und vielleicht ist es tatsächlich eine Berechtigung. Vom Standpunkt der Schwarmkönigin aus ist es unmöglich, zwischen zwei verschiedenen Lebensformen zu wählen, doch wie Andrew mir oft klargemacht hat, haben die Menschen dieses Problem nicht. Wenn es auf die Wahl zwischen dem Überleben der Menschen oder der Pequeninos hinausläuft, würde er sich für die Menschheit entscheiden, und um seinetwillen würde ich mich genauso entscheiden.«
»Und ich auch«, sagte Meister Han.
»Wir können sicher sein, daß die Pequeninos genau umgekehrt empfinden«, sagte Jane. »Wenn nicht auf Lusitania, so wird es aber mit fast absoluter Sicherheit irgendwann zu einem schrecklichen Krieg kommen, in dem die Menschen das Molekular-Detachier-Gerät und die Pequeninos die Descolada als ultimate biologische Waffe einsetzen werden. Es besteht eine gute Chance, daß sich beide Spezies gegenseitig völlig vernichten. Daher muß ich dringend einen Ersatzvirus für die Descolada finden, der alle Funktionen wahrnimmt, die im Lebenszyklus der Pequeninos notwendig sind, aber nicht über seine tödliche Anpassungsfähigkeit verfügt. Eine selektiv ungefährliche Form des Virus.«
»Ich dachte, es gäbe Möglichkeiten,
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