Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren
und so gelang es mir zu fliehen. Ich rannte und rannte, bis ich endlich meine Mutter fand.«
»Dann hat die Angst dich also gerettet«, folgerte Yofi.
»Als ich bei meiner Mutter ankam, hatte ich keine mehr. Aber die Begegnung mit dem Löwen war trotzdem ein gefundenes Fressen für die Schlürfer.«
»Wieso denn das?«
»Sie erinnerten mich ständig an ihn. Ich war sogar noch überzeugt, dass er jederzeit vor mir stehen kann, als ich mit Großvater Sasa zum Ozean unterwegs war. Und weil der Löwe in meiner Fantasie von Mal zu Mal größer und gefährlicher wurde, fürchtete ich mich immer stärker.«
»Aber ein ausgewachsenes Nashorn wie du wird doch leicht mit einem Löwen fertig.«
»Stimmt. Doch den Traumschlürfern ist es gelungen, dass ich mich jedes Mal wie ein Kind fühlte, wenn ich an ihn dachte. Freilich ohne dass es mir gewahr wurde.«
Die haben ihm ja ganz schön zugesetzt. Mich würden sie nicht so austricksen.
Am Abend suchten sie einen Platz für die Nacht. Yofi hatte wieder einmal den Eindruck, die Haut des Alten würde weiß schimmern – obwohl die Sonne bereits am Horizont verschwunden war.
Der Mond ging auf, und Yofi dachte über alles nach, was er heute erfahren hatte.
»Kann man gegen die Schlürfer denn überhaupt nichts tun?«, fragte er in die Dunkelheit.
Meru blickte ihn stolz an.
»Doch.«
»Und was?«
»Du kannst den Großen Kampf antreten.«
»Den Großen Kampf?«
»Das ist die wichtigste Schlacht deines Lebens: der Kampf um deine wahre Bestimmung. Auf dem Rest unserer Reise werde ich dir mehr darüber erzählen.«
FÜNF
Großer Kampf hört sich prima an.
Das junge Nashorn hoffte, der Alte würde bald auf das spannende Thema zurückkommen. An einer Suhle legten sie Rast ein.
»Der Große Kampf ist eine heilige Angelegenheit. Ein wenig davon kennst du bereits. Es ist sehr einfach. Wie alles Wichtige im Leben.«
Sag schon.
»Der Große Kampf bedeutet: Man hört auf, sich selbst zu bekriegen.«
Das war alles, was Meru sagte. Dann schwieg er.
»Und?«, fragte Yofi, als ihm das Warten zu lang wurde. »Wie geht es weiter?«
»Wieso weiter?«
Muss man ihm heute denn alles aus der Nase ziehen?
»Was ist mit dem Kampf gegen die Schlürfer?«
»Das ist der Kampf!«
Der Enkel war sichtlich enttäuscht. Er hatte heute sowieso eine dünne Haut.
»Aber ich kämpfe doch gar nicht gegen mich.«
»Meinst du?«
Erst kündigt er großartig eine Schlacht an, dann labert er unbrauchbares Zeug.
Yofi erinnerte sich, wie wütend er am Anfang der Reise auf den Großvater gewesen war.
Jetzt fängt er wieder an zu spinnen.
Ein langes Schweigen folgte.
Schließlich sagte Meru:
»Ich glaube, du führst seit geraumer Zeit einen Krieg gegen dich selbst – hart und ohne Gnade.«
»Wäre mir aufgefallen«, knurrte Yofi.
Meru blieb beharrlich.
»Seit wir uns kennen, spüre ich deinen Zorn.«
»Klar bin ich wütend. Aber nicht auf mich – auf Antros!«
»Bist du da ganz sicher?«
»Was er getan hat, werde ich nie vergessen.«
»Das brauchst du auch nicht. Viel wichtiger ist: Was tust du dir an?«
Daher weht also der Wind. Das ist ja das Letzte!
»Ach so! Ich bekämpfe mich also selbst, weil ich mich gegen Antros wehre. Jetzt kommst du bestimmt wieder mit diesen bescheuerten Traumschlürfern. Vergiss es! Ich bin mir absolut sicher: Er ist ein Verräter! Meine Erinnerungen sind wahr! Niemand hat sie gefälscht! NIEMAND!«
Hitzig preschte Yofi davon. Die Zebras, die in der Nähe grasten, schreckten auf.
*
In der Nacht schlief er kaum. Mit der Wut auf den Großvater waren auch wieder Bilder von Antros aufgetaucht.
»Immer noch zornig?«, fragte Meru, als sie am nächsten Tag durch die Savanne trabten.
»Antros ist mein Feind!«
»Also gut: Verdrisch ihn!«
»Was soll denn das ?«
»Verhau ihn! Oder um es in deiner Sprache auszudrücken: Bohr ihm das Horn in die Haut, bis er quietscht.«
Der wird ja immer schräger. Wird Zeit, dass wir ankommen.
» Wen soll ich verprügeln?«
»Wen wohl? Antros! Auf ihn mit Gebrüll!«
»Da wäre eine Kleinigkeit«, entgegnete Yofi bissig. »Leider ist er gerade nicht da. Bestimmt macht er nur Pipi.«
Meru atmete tief durch und blickte seinen Enkel an.
»Möglicherweise behandle ich dich heute wieder von oben herab. Verzeih mir das. Aber ich finde es unerträglich, wie du dich zum Narren halten lässt.«
»Ich? Mich? Zum Narren? Nein, Großväterchen! Da bist du schief gewickelt! Ich sehe Bilder, einverstanden. Aber sie sind wahr !
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