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Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Titel: Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bantle
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folgte ihm. Yofi hätte alles getan, um die Kuh zu erobern, die dieses Aroma verströmte. Zu seiner Überraschung war es Sara, die so gut roch. Sie hatte sich in das leckerste Weibchen der Savanne verwandelt.
    In den nächsten Tagen besiegte er fünf Nebenbuhler und hätte es auch mit weiteren aufgenommen.Nachdem die Rivalen bezwungen waren, musste er tagelang spielerisch gegen die brunftige Sara kämpfen; erst dann akzeptierte sie ihn als ihren Mann. Antros hatte damals so getan, als würde er Yofis Leidenschaft nicht verstehen ...
    »Betrachte ihr Gesicht«, sagte Meru jetzt.
    Yofi erblickte das charmanteste Nashornlächeln, das er kannte.
    Die perfektesten Hörner. Augen voller Liebe.
    »Nun denk daran, wie ihr euch ganz nahe wart.«
    Yofi wurde unruhig. Sein Körper kribbelte vor Freude. Er spürte ein Ziehen und erinnerte sich daran, wie sie ihr Baby gezeugt hatten. Er bekam Sehnsucht und fühlte sich wie der König der Nashörner – so wie in der Nacht, als er Sara erobert hatte.
    Meru fragte:
    »Wie geht es dir?«
    Der Enkel öffnete langsam die Augen.
    »Wow. Am liebsten würde ich jetzt wieder ein Nashornbaby zeugen.«
    »Das ist die Macht der Erinnerung!«
    Yofi seufzte. Er war noch etwas benommen und bedauerte, dass er wieder abkühlte. Dann fiel ihm ein, was er als Kind gelernt hatte.
    »Großmutter Mira sagte immer: Das Land der Erinnerung ist das einzige, aus dem uns niemand vertreiben kann.«
    »Sie hat recht«, sagte Meru. »Es kann ein weites, fruchtbares und friedliches Land sein. Aber auch eines voller Fallgruben. Je nachdem, an was man sich erinnert.«
    Yofi wusste, wovon die Rede war. In der Gegend, in der er seine Kindheit verbracht hatte, waren immer wieder Tiere in große Fallgruben gestürzt: tiefe Löcher, deren Wände so steil waren, dass es kein Entrinnen gab. Etliche Fallen wurden sogar immer tiefer, je stärker ein Gefangener versuchte, sich zu befreien.
    »Morgen können wir weitersprechen«, sagte Meru. »Wenn du willst.«
    Yofi war sich sicher, dass er das wollte.
    »Über morgen mache ich mir erst Gedanken, wenn es so weit ist«, ahmte er den Großvater nach und grinste in die Nacht.

VIER
    Beim Aufstehen wirkte Meru älter als sonst.
    »Ich habe kaum geschlafen. Heute muss ich mich erholen.«
    Yofi stutzte. Bislang hatte er den Großvater immer kraftvoll erlebt. Mit mehr Energie als andere Nashörner in seinem Alter.
    »Bist du krank?«
    »Nur erschöpft. Morgen geht es wieder.«
    Fressend und dösend verbrachten sie den Tag unter den Akazien. Als die Sonne unterging, zerstob ein frischer Wind die stehende Hitze.
    Meru fragte:
    »Erinnerst du dich an die Traumschlürfer?«
    Yofi spitzte die Ohren.
    »Sicher.«
    »Weißt du, was sie tun, wenn sie den Traum geschluckt haben?«
    Yofi überlegte.
    »Verdursten sie?«
    »Leider nicht. Sie leben weiter und hoffen, den letzten Tropfen irgendwann zu erhaschen. Bis dahin trinken sie etwas anderes.«
    »Was?«
    »Meistens Wut. Genauer gesagt: Groll.«
    »Gibt es da einen Unterschied?«
    »Allerdings: Groll ist alte Wut.«
    » Die nehmen sie als Ersatz?«, fragte Yofi verdutzt.
    »Ja. Sie schmeckt so ähnlich wie der Traum. Die Schlürfer versorgen sich deshalb immer ausreichend damit.«
    »Wie machen sie das?«
    »Mit einer ausgefeilten Strategie. Zuerst verstellen sie den Blick auf das Schöne. Würde ein Nashorn wirklich sehen, wie paradiesisch die Welt zu jedem Zeitpunkt ist, dann fiele die Grollernte recht kümmerlich aus. Mich etwa verleiteten sie zum Grübeln, indem sie meinem Herzen verdrießliche Bilder aus der Vergangenheit zeigten.«
    Yofi blickte aufmerksam.
    »Und dann?«
    »Mein Herz glaubte, dass alles, was es sah, augenblicklich stattfand. So hatten die Schlürfer immer etwas zum Schlucken. Trotzdem wurden sie nie richtig satt.«
    »Wieso nicht?«
    »Alte Wut schmeckt zwar so ähnlich wie der Traum, ist aber weit weniger nahrhaft. Das Tragische ist: Die Schlürfer benötigen immer mehr davon.«
    »Weshalb?«
    »Groll macht nur für die Dauer eines Atemzuges satt. Danach wird der Durst größer als zuvor. Je mehr man schlürft, desto durstiger wird man.«
*
    Der nächste Tag brach an. Meru sah wieder kräftig aus, seine Augen leuchteten. Yofi dagegen war schlecht gelaunt. Er hatte von seinem Feind geträumt – erst jetzt fiel ihm auf, dass er sich in den vergangenen Tagen kaum mit Antros beschäftigt hatte.
    Während der Besinnung wartete Yofi vergebens auf Bilder.
    Dieser Quatsch hört auf, sobald ich am Meer bin.
    »Heute

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