Yoga Bitch
sondern sagte: »Iss das Grünzeug, Kind. Das ist gesund.«
– Man hätte den Satz »Die hat doch was machen lassen« nicht verstanden.
– Man ließ sich mit 40 die Haare schulterlang schneiden und mit 55 eine »flotte Dauerwelle« machen.
– Man lieh sich keine Klamotten von der eigenen Tochter.
– Man akzeptierte, dass es ab Mitte 30 den Bach runtergehen würde, und fand Trost in Torten.
Sie alterten viel schneller, die Frauen von damals – selbst die Generation meiner Mutter, als 50 nicht das neue 35, sondern, wenn es ganz toll lief, das neue 47 war. Was 35 angeht: Wer nicht verheiratet war und Kinder hatte, war nicht mehr im last chance saloon , sondern seit Jahren daran vorbei. Deshalb konnte sich eine Mittdreißigerin im letzten Jahrtausend auch ruhigen Gewissens vernachlässigen: Sie war entweder schon verheiratet und hatte Kinder oder der Zug war abgefahren. Heute müssen 37-jährige Single-Frauen mit 22-jährigen Models konkurrieren. Leicht vorzustellen, wer mehr Arbeit und Nerven investieren muss.
Am 25. April 1982 gab es einen entscheidenden soziokulturellen Einschnitt: Die Aerobic-Videos von Jane Fonda kamen in Deutschland auf den Markt. Wow! Das war was ganz Neues. Sie sah toll aus in ihrem knappen, hoch geschnittenen Einteiler und den Leggings, in denen immerhin schon 44-jährige, topfit durchtrainierte, schlanke Oberschenkel steckten. (Die Unterschenkel steckten übrigens in Stulpen, doch auch sie waren durchtrainiert.) Wenn Fonda turnte und hüpfte und uns anfeuerte – pull it up and left and stretch and back! Bounce and two and squeeze and four! –, sagte sie damit: Guckt her, das könnt ihr auch. Ihr könnt auch so aussehen. Und wir dachten: Sie hat recht. Das können wir auch. Dabei war alles noch ganz harmlos damals: Man hüpfte zwei Monate mit Jane rum und ließ es dann wieder bleiben. Ansonsten machte man mal FdH oder eine Ananas-Diät oder aß zwei Wochen lang nur hart gekochte Eier. Viel mehr Ahnung – oder Möglichkeiten – hatte man nicht.
Doch gegen Ende des letzten Jahrtausends wurde aus dem in der weiblichen DNA vorhandenen Wunsch nach Schönheit und Jugend eine Manie, eine Industrie, eine Grundeinstellung (lässt man etwas machen oder nicht, ist heute eine Frage, die Frauen in zwei Lager teilt), eine Vollzeitbeschäftigung und in manchen Fällen gar eine Berufung. Früher musste man sich mit seiner langen Nase abfinden und setzte stattdessen eben seine tollen Haare in Szene. Heute lässt man sich die Nase richten und setzt seine Extensions in Szene, wenn die eigenen Haare zu dünn sind. Das Ganze ist ein anstrengender Kampf mit ständig neuen Disziplinen, und wer ihn nicht beherrscht und auf dem Laufenden bleibt, kann optisch nur verlieren.
*
»So, Alev, jetzt sag schon.«
»Ja, was ist denn los? Was gibt’s Neues?«
»Okay. Tom und ich sind wieder zusammen. Vielleicht heiraten wir, vielleicht nicht. Aber so einen Stress tun wir uns nie wieder an.«
Wir gratulierten ihr, umarmten und küssten sie und tranken darauf einen Wodka, der Sophie allerdings den Rest gab. Sie lallte noch ein paarmal Yogggggha Bisssschhh , und dann brachte ich sie in ihre Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alev, die in der Früh zu einem Dreh musste, verabschiedete sich wenig später; ebenso die gejetlaggte Polly. Rosa und ich blieben übrig und fühlten uns ähnlich platt wie der in sich zusammengefallene Börek.
Wir öffneten die letzte Flasche Schaumwein und stießen auf Alev und Tom an. Dann fragte Rosa: »Was hat Sophie denn bloß? Wieso tickt sie nur so aus?«
»Ich glaube, sie hat recht«, sagte ich und blies die letzte Duftkerze aus: Vanille. Der Duft von Vanille soll bekanntlich das Hungergefühl dämpfen.
2
»Ab dreißig bekommt der Körper
seinen eigenen Kopf.«
Bette Midler
Wie gesagt: Ich war nicht immer so. Ich wurde erst ziemlich spät zur Yoga Bitch. Es begann vor etwas über einem Jahr. Was meine Figur anging, hatte ich bis dahin auf meine Gene und mein im genau richtigen Maße neurotisches Verhältnis zum Essen vertraut, doch innerhalb weniger Wochen hatte ich ein paar Pfund hier und ein paar mehr Pfund dort angesetzt. Insgesamt 17 Pfund, die sich mir aufgedrängt hatten und die ich nicht schnell genug abgewimmelt hatte und die mich nun dauerhaft belästigten. Das verschlechterte meine Laune im Sommer 2009 erheblich. Die Laune war ohnehin schon im Keller, denn mit 34 fand ich mich plötzlich als Single wieder, nach einer desaströsen On/Off-Beziehung mit
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