Yolo
er war es, so ist er immer gewesen. Befiel ihn auch nur ein Hauch von Unsicherheit, wich er in Sarkasmus aus. Je ironischer er wurde, desto mehr wusste ich, was er wollte. Die Coolness des Mathematikers zu knacken, wurde mir bald wichtiger als meine Arbeit; das
Vulgärlatein
, diese
Ursprache des Romanischen
, wurde zur Nebensache. Es war meine Verliebtheit, die mich in seine Nähe trieb und die von Tag zu Tag zunahm. Bis ich sie nächtlich ausleben konnte, dauerte es gerade mal eine Woche. Insbesondere, weil der Professore in seinem Institut Grenzen gesetzt hatte, obwohl sein Büro in einem Seitenflügel der Uni sich als chambre séparée geeignet hätte. Seine Beherrschtheit heizte die selbstbewusste Studentin natürlich an.
In Alessandros mächtiger Wohnung, inmitten antiker Möbel und einer peniblen Ordnung, fühlte ich mich nur in der Küche und im Schlafzimmer wohl. In diesen beiden Räumen akzeptierte er mein Chaos mit einer Grandezza, die ihn einiges kosten musste. Wie überhaupt mein ungebärdiges Wesen. In seinem Leben war alles durchstrukturiert. Tage, geschweige Wochen ohne genaue Pläne waren ihm ein Gräuel. Vielleicht war sogar ein gemeinsames Kind mehr Plan als Panne …
Man muss wissen, woran man ist, wohin man will und was man will. Alessandros väterliche Sprüche. Toll oder spießig? Toll, wenn ich sie widerlegen konnte. Wenn wir ausflippten, noch bevor er wahrnahm, dass wir ausflippten. Im Meer wäre er fast ertrunken, bloß weil er mit mir um die Wette schwamm oder eben nicht schwamm, da er gar nicht schwimmen konnte. Einiges an Ungemach trug ich ihm ein, als ich bei der Doktorfeier einer seiner Studentinnen unverhofft auftauchte. Er hatte mich nicht mitnehmen wollen. Zugegeben: Wir waren damals erst kurz ein Paar. Das hinderte mich nicht daran, mich als die Freundin des Professors vorzustellen.
Gelungener war unser Versteckspiel in den etruskischen Mauern von Fiesole – es leitete eine unserer verrücktesten Nächte ein! Weder Vollmond noch Sternenhimmel, ein Platzregen kühlte zwischendurch unsere Körper. Alessandros Geflüster, er wünsche sich ein Mädchen, überhörte ich. Daran erinnerte ich mich erst einige Wochen später wieder, als es soweit war, sich an etwas zu erinnern, das mein ganzes Leben verändert hätte. Wir rasteten beide aus – jeder auf seine Art hässlich. Danach klammerten wir uns, zwei Schiffsbrüchigen gleich, aneinander und liebten uns. Ein letztes Mal.
Und jetzt sitze ich also im Zug nach Vicchio. Außer einer Familie und mir zieht es niemanden in die Provinz. Nie zuvor bin ich diese Strecke mit der Eisenbahn gefahren, im Auto fährt man nicht durch dieses Bilderbuch! Die zwei Mädchen und ihre Eltern können mit der traumhaften Landschaft nichts anfangen oder sie kennen sie zu gut. Die Kinder sitzen auf dem Boden im Mittelgang und lassen ein Spielzeugauto zwischen ihren gespreizten Beinen hin- und herfahren. Ihre Mutter sehe ich nur von der Seite, dem Mann könnte ich ins Gesicht schauen, doch ich lasse das, seit er mich zu mustern begonnen hat. Sein nacktes Haupt mit den paar Wuschelhaaren über den Ohren macht mich unsicher: Wie sieht Alessandro heute aus? Dicklich? Schon ergraut? Kahl? Es gibt ja Rassetypen mit Glatze, Christian aber gehört nicht zu ihnen. Als er sich im letzten Urlaub ratzekahl rasierte, war er ein so komisches Double von Yul Brynner, dass ich ihn auslachte.
Ich stelle mir meinen jungen Professore vor, wie er vor siebzehn Jahren war: Groß, schlank, mit Locken im Nacken, die er mir zuliebe nicht abschneiden durfte. Und makellose Zähne hatte er, die bei seinem dunklen Teint kreideweiß schienen. Lachte er, bildete sich auf seiner linken Wange ein Grübchen. War es die linke? Sein dichtes Brusthaar … Ohne Verliebtheit hätte ich mich wohl kaum daran gewöhnt. Nach unserer Zeit jedoch maß ich die Männlichkeit der Liebhaber mitunter an ihrem Haarwuchs.
Weit und breit kein Taxi, das mich zum Anwesen Cabrese bringen kann. Im Zentrum bei einer Kirche geht es schräg aufwärts, danach bald mal nach rechts … Mehr weiß ich nicht mehr.
Vicchio ist in meiner Erinnerung ländlich, unverbraucht: Sonnenblumenfelder, sattes Grün, spielende Kinder. Doch das sind wohl Bilder, die einer anderen Gegend entliehen sind. Schwülheiß ist es hier und staubig, Hundekot auf dem Gehsteig. Keine Kirche nirgendwo …
Ich habe mich verirrt.
Nach einer Viertelstunde Fußmarsch ziemlich verschwitzt, greife ich nach meinem Handy, um zu telefonieren. Es
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