Yolo
Ich will die Begeisterung meiner Begleiterin kundtun, aber die ist bereits verschwunden.
Wenige Schritte vom Hotel entfernt, besorge ich mir Tabletten gegen die Kopfschmerzen. An der Kasse finde ich mein Portemonnaie nicht gleich – und auch nach langem Suchen nicht. Kurzerhand leere ich den Inhalt der Handtasche auf den Ladentisch. Agenda, Schminktäschchen, Taschentücher, zwei Kugelschreiber, Kaugummi – bloß kein Geldbeutel!
»Entschuldigen Sie, ich habe, ich meine … Man hat mich bestohlen, alles ist weg!«
Die Apothekerin steckt mir die Medizin zu: »Kommen Sie einfach später vorbei.«
Ich eile zurück ins Zimmer. Dann hinauf ins alte Zimmer. Wieder ins neue Zimmer – nichts!
Der Angestellte an der Rezeption holt umgehend den Chef an die Theke.
»Ich hatte wirklich alles im Portemonnaie, die Visakarte, eine zweite Kreditkarte, mein ganzes Geld, die Identitätskarte, den Führerschein …«
Der Chef setzt eine eiskalte Miene auf, rät mir, zur Polizei zu gehen. Er könne nichts für mich tun, »mi dispiace.« Schon gar kein Geld leihen, »wie sollten wir das denn verbuchen?« Auch seine Bankverbindung nütze nichts, hier seien die Banken sehr langsam, eine Überweisung dauere mehrere Tage. »Wie gesagt, gehen Sie zur Polizei.«
Steht das schwarze Zimmermädchen schon lange neben mir? Ungefragt erklärt sie – mehr an den Chef als an mich gerichtet –, beim Umzug hätte ich die Handtasche selber getragen.
Ohne einen Cent ziehe ich los. Die ersten, die ich um Auskunft bitte, sind Touristen, zwei weitere Passanten heben gleichgültig die Achseln, der dritte schaut mich nur blöde an. Die Frau hingegen, die leere Plastiktaschen mit sich herumträgt, ist tatsächlich aus dem Quartier. Sie hilft mir.
Verschwitzt lande ich vor dem richtigen Gebäude. Die beiden Polizisten im Innenhof lassen sich bei ihrem Gespräch nur widerwillig stören. Einer zeigt mit dem Kopf schräg nach hinten.
Die Türe hinter ihnen führt in einen Vorraum: Hoch, kahl, spärlich beleuchtet. Entlang den Wänden ein paar Stühle, zwei sind noch frei. Ich setze mich. Alle mustern mich, den Gruß erwidert nur die Frau neben mir.
Da sitz ich nun, ich kluger Tor … Mit einer Prise Galgenhumor versuche ich mir inmitten dieser Randständigen Distanz zu einer Welt zu verschaffen, die mir beklemmend fremd ist. Insbesondere jenes Unikum in seiner halblangen Hose: Rucksack auf dem Bauch, ausgestreckte Beine, nackte Füße, im Mundwinkel eine Kippe. Hemmungslos rülpst er vor sich hin. Ihm gegenüber steht eine hübsche Frau, die mit ihrer Schminke und ihren Lackstiefeln wie eine Dirne aussieht – und vielleicht auch ist. Der üble Geruch muss von dem Kerl rechts von mir stammen, ein haariger Mann im schweißnassen Unterhemd. Auf meiner Seite, mit unangenehmem Hautkontakt, macht sich eine typische Mamma breit; den Blick hat sie stur auf ihre himmelblaue Handarbeit gerichtet. Würde der in seiner Ecke nicht rülpsen, man hörte hier drin einzig das Geklimper von Stricknadeln.
Eine von ihnen oder auch nicht: Vor der Polizei sind alle gleich. Auf einen Ausländerbonus kann ich nicht zählen, das gibt mir die Dirne zu verstehen, als ich die Nichtwissende spiele und mich vordrängen will.
Wieder und wieder rekonstruiere ich den gestrigen Abend, hin und her und her und hin, Schritt für Schritt, haargenau. Das Fazit ist niederschmetternd: Es kann nur Donatella gewesen sein.
Bei unserer Abschiedsumarmung ist mir die Tasche von der Schulter gerutscht. Betrunken, wie ich war, habe ich das nur deshalb bemerkt, weil mich Donatella nach ein paar Schritten zurückgerufen hat. Lachend ist sie mir nachgelaufen, hat mir meine Tasche wieder umgehängt, nochmals ein Küsschen auf die Wange … Und das, nachdem sie mir gerade das Portemonnaie gestohlen hat.
Welche Perfidie!
Ich Idiotin, ich leichtgläubiger Trottel! Schwelge im Gefühl von Donatellas Zuneigung, dabei war alles nur Schau. Reine Berechnung, auf mein Geld aus, nichts sonst. Finanziert sie damit die Drogen ihres Freundes? Ist sie selbst an der Nadel? Diesem Weib ist alles zuzutrauen.
Mir offenbar auch: Kaum halte ich den Kopf über Wasser, klatscht mir eine Ohrfeige ins Gesicht; verbannt im Keller der Gescheiterten, muss ich um meine Fassung ringen – und gehe unter, wenn mich wieder die Atemnot befällt … Ja, ich kriege keine Luft mehr, japse … Gleich kommt das Keuchen, die Hechelei!
Verdammt, nimm dich zusammen. Atme bewusst langsam ein und langsam wieder aus. Ein und Aus.
Der
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