You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
stets: „Habt ihr eure Hände gewaschen? Los, ab, Hände waschen!“ Wenn sie dann nicht binnen Sekunden das Wasser rauschen hörte, gab es Ärger. Morgens vor der Schule gab es die gleiche Hygiene-Inspektion: „Hast du dein Gesicht gewaschen? Deine Füße? Zwischen den Zehen? Die Ellenbogen?“ Darauf folgte der Lackmustest: Sie fuhr uns mit einem in Alkohol getauchten Wattebausch über den Nacken. Wenn der sich grau färbte, waren wir nicht sauber genug. „Geh noch einmal ins Bad und wasch dich richtig.“ Wenn wir Schokoladenkuchen oder einen Keks haben wollten, mussten wir zunächst unsere Hände vorzeigen. „Aber ich habe sie vorhin erst gewaschen!“, protestierte ich oft. „Du hast aber Türklinken angefasst, Junge – geh und wasch sie dir noch mal!“
Kleidungsstücke wurden höchstens zwei Tage hintereinander getragen, dann wurden sie gewaschen und gebügelt. Niemand aus unserer Familie ging je mit einer Knitterfalte oder einem Fleck auf dem Hemd auf die Straße. Mit sechs Jahren wusste jeder von uns, wie er bei der Wäsche mit anpacken konnte. Das gehörte einfach zu der perfekten Ordnung, die man brauchte, wenn man so viele Kinder – und das damit einhergehende Chaos – im Griff behalten wollte.
Als ich 2007 ins Big-Brother- Haus in Großbritannien einzog, machten sich alle darüber lustig, wie sehr ich von Hygiene besessen war und dass ich meine Mitbewohner dauernd fragte, ob sie sich auch die Hände gewaschen hätten, bevor sie das Essen zubereiteten. Meine Frau Halima überraschte das nicht. Ihr zufolge habe ich eine „Keimphobie“, und das kann ich kaum bestreiten. Bis heute fasse ich in einer öffentlichen Toilette keinen Türgriff an, weil ich weiß, wie viele Männer sich eben nicht die Hände waschen. Auch berühre ich in öffentlichen Gebäuden keine Treppengeländer oder Rolltreppenhandläufe. Und wenn ich mein Auto betanke, dann lege ich ein Taschentuch um den Griff des Zapfhahns. Im Hotel wische ich die Fernbedienung für den Fernseher erst einmal mit Alkohol ab, bevor ich sie benutze. Ich erwarte von jeder Oberfläche eine Seuchenattacke.
Michael war genauso. Als seine Fans noch richtig nahe an ihn herankommen konnten, machte er sich sogar Sorgen wegen der Stifte, die sie ihm für die Autogramme reichten. Aber seine Neurose konzentrierte sich vor allem auf Keime in der Luft. Die Leute machten sich lustig darüber, dass er oft einen Mundschutz trug, und es wurde viel darüber spekuliert, ob er damit schönheitschirurgische Eingriffe verstecken wollte. Ich musste immer lachen, wenn ich Artikel zu sehen bekam, in denen es um diese Masken ging, und es dann hieß, es herrsche deswegen „Besorgnis über Michaels Gesundheitszustand“. Denn genau das war der Grund: Michaels Angst davor, dass er krank werden könnte. Wenn er eine Maske trug, dann hatte er vermutlich das Gefühl, dass eine Erkältung oder dergleichen im Anzug oder sein Immunsystem gerade nicht richtig auf der Höhe war. Genau wie ich fürchtete auch er sich sein Leben lang vor Keimen. Zumindest war das der Ursprung seiner Angewohnheit, einen Mundschutz zu tragen; später wurde er wahrscheinlich auch eine Art Mode-Accessoire, das ihm zudem die Möglichkeit bot, sich zu „verstecken“ – ein Mini-Schutzschild für einen Mann, der sich verzweifelt jedes noch so kleine Stück Privatsphäre zu erhalten versuchte.
Ich kann mich an keine Zeit erinnern, in der Mutter nicht schwanger war. Wenn sie die Straße entlangging, dann stets mit diesem typischen Watschelgang und mit zwei Tüten in jeder Hand, die entweder Lebensmittel oder gebrauchte Kleidungsstücke enthielten. Zwischen 1950 und 1966 brachte sie neun Kinder zur Welt. Eine reife Leistung, wenn man bedenkt, dass sie und Joseph eigentlich höchstens drei Kinder geplant hatten.
Als Erste kam meine Schwester Rebbie (Rie-bie ausgesprochen) zur Welt, dann Jackie (1951), Tito (1953), ich (1954), La Toya (1956), Marlon (1957), Michael (1958), Randy (1961) und Janet (1966). Wir wären zehn Kinder gewesen, aber Brandon, Marlons Zwillingsbruder, starb bei der Geburt. Deswegen sagte Marlon bei der Trauerfeier 2009 in seiner Botschaft an Michael: „Bitte umarme unser Geschwisterchen, meinen Zwillingsbruder Brandon, an meiner Stelle.“ Das Band zwischen Zwillingen bleibt eben über den Tod hinaus bestehen.
Als Kinder erfuhren wir viel Zärtlichkeit von unserer Mutter. Es wird gern erzählt, dass wir eine unglückliche Kindheit voller Kälte und Distanz gehabt hätten, aber wir
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