You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
als er je durchblicken ließ.
Tito begeisterte sich also immer mehr für Gitarren.
Während Jackie und ich die Songs aus dem Radio lernten, hatte er die Möglichkeit, in der Schule Unterricht auf diesem Instrument zu nehmen. Aber zu Hause besaß er keine Möglichkeit zum Üben. Also holte er sich schließlich doch einmal trotz aller Warnungen und Verbote Josephs Gitarre aus dem Schrank. Solange unser Vater das nicht merkte, würde er sich schließlich auch nicht aufregen.
Tito nutzte jede Gelegenheit, wenn Joseph zur Arbeit war. Er spielte, und wir sangen mehrstimmig dazu. Manchmal erwischte Mutter uns dabei, aber außer, dass sie ganz offensichtlich einen Schrecken bekam und uns darauf hinwies, dass wir mit dem Feuer spielten, verriet sie nichts. Sie war wesentlich nachsichtiger als unser Vater. An einem Wochenende dann spielte Tito Gitarre, und wir sangen einen Song von den Four Tops. Er saß da, zupfte selbstvergessen, und Jackie und ich warfen uns die Harmonien wie Bälle zu, als plötzlich ein hässliches Pling ertönte. Tito wurde bleich: Eine Saite war gerissen. „Oh, jetzt kriegst du eine Abreibung“, quiekte Jackie halb aufgeregt, halb voller Angst.
Wir kriegen jetzt alle eine Abreibung , dachte ich.
Vorsichtig stellten wir den lädierten Schatz wieder auf seinen angestammten Platz und saßen in unserem Zimmer, als wir nach einer scheinbaren Ewigkeit dann endlich das Auto vor dem Haus hörten. Jeder laute Schritt auf dem Linoleum korrespondierte mit dem Dröhnen in unserem Brustkorb. Eins … zwei … drei … „Wer … hat … an meiner Gitarre … herumgefummelt?!“ Joseph brüllte so laut, dass man ihn vermutlich noch in Kalifornien hörte. Als er in unser Zimmer stürmte, hatten Michael und Marlon sich verkrümelt, so dass nur noch Jackie, Tito und ich an unserem Etagenbett standen und jetzt schon wimmerten, weil wir so viel Angst vor dem hatten, was kommen würde. Mutter versuchte zu schlichten und behauptete, es sei alles ihre Schuld, aber Joseph hörte ihr nicht zu. Stattdessen drohte er, uns alle windelweich zu prügeln, bis einer von uns zugab, es gewesen zu sein, und daraufhin heulten wir noch mehr.
„Ich war’s“, brachte Tito schließlich kaum hörbar hervor. „Ich habe gespielt …“ Joseph packte ihn. „… aber ich weiß, wie man das macht. Ich weiß, wie man spielt!“, kreischte Tito.
In einigen Berichten wird behauptet, Joseph habe ihn an Ort und Stelle verdroschen, aber das stimmt nicht. Stattdessen hielt er inne, sah uns grimmig an und sagte: „Dann spiele. Zeig mal, was du kannst!“ Und Tito spielte, mit der gerissenen Saite, und Jackie und ich sangen dazu, obwohl wir wohl nur halb so gut waren wie sonst, weil wir immer noch heulten. „The Jerk“ von den Larks wurde unsere Bitte um Vergebung, und nach und nach sangen wir wieder mehrstimmig, wenn auch vielleicht nicht immer ganz rein, aber es klang wahrscheinlich trotzdem ganz gut, denn Joseph wurde zusehends lockerer. Wir sangen weiter. Schließlich merkten wir, dass sein Kopf im Takt nickte, und er tat, was später zu seiner festen Gewohnheit wurde: Stumm bewegte er die Lippen zum Text und führte uns durch den Song. Langsam wurden wir mutiger, hörten auf zu schniefen und rissen uns zusammen. Die Harmonien wurden immer besser, und wir schnippten mit den Fingern. Unser Publikum machte große Augen und kniff sie dann wieder zusammen, hin- und hergerissen zwischen Sieg und Niederlage. Als wir aufhörten, sagte Joseph kein Wort, aber die Abreibung blieb uns erspart, und das war zunächst einmal alles, was uns interessierte.
Zwei Tage später kam Joseph mit einer roten E-Gitarre für Tito nach Hause und befahl ihm zu üben. Auch Jackie und ich sollten uns auf erste Proben vorbereiten. Meiner Mutter sagte er: „Ich werde diese Jungs unterstützen.“ Damit verlagerte sich sein Fokus von den Falcons auf seine Söhne. Wir hatten seine Aufmerksamkeit, und er wollte uns in etwas drillen, an dem wir viel Spaß hatten. Es fühlte sich wie Anerkennung an, und wir waren völlig begeistert. Später hat man oft gesagt, unser Vater habe uns „zum Singen gebracht“ oder „seine Jungs in die Unterhaltungsbranche gezwungen“, aber wir hatten schon vorher stets Spaß am Singen gehabt, und diese Leidenschaft war unsere Wahl. Schon lange hatten wir unsere Stimmen erprobt und trainiert, noch bevor Joseph mit seinem Raketenbenzin für mehr Antrieb sorgte. Wir würden als Brüder-Trio auftreten, und wir sagten uns, dass wir die beste
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