You are not alone - Mein Bruder Michael Jackson (German Edition)
dem Fenster auf die Jackson Street, weil wir uns immer so aufstellten, dass uns das Licht auf die Gesichter fiel, und sahen draußen andere Kinder auf der Straße beim Ballspielen oder Rollschuhlaufen. Sie hatten Spaß und lachten, das konnten wir hören. Wenn Schulfreunde bei uns klopften und fragten, ob wir zum Spielen kämen, dann sagte Joseph Nein. „Sie müssen proben“, erklärte er. Das wiederum machte die gesamte Nachbarschaft endlos neugierig auf alles, was in unserem Haus vor sich ging, und so blieb es bis Ende der Sechzigerjahre. Gelegentlich kamen Kinder bis ans Fenster und drückten sich die Nasen an der Scheibe platt. Wahrscheinlich nahm das Leben im Goldfischglas, wie wir es später führten, hier seinen Anfang. Manche Kids trommelten auch ans Fenster und machten sich über uns lustig.
„Ihr habt Hausarrest! Ihr habt Hausarrest!“, riefen sie und liefen dann lachend weg.
Joseph zog die Vorhänge zu. Auf der Straße zu spielen, das brachte einen im Leben nicht weiter. „Konzentriert euch“, sagte er. „Ihr werdet immer Ablenkungen haben, denen ihr euch stellen müsst, aber wichtig ist, dass ihr an nichts anderes denkt als an euren Job.“ Wenn er es schaffte, neben seinen Schichten in der Fabrik noch hart zu arbeiten, dann konnten wir das auch. Das war die unausgesprochene Botschaft, die dahinterstand.
Wir besaßen Talent, das hatte er bei der Arbeit mit uns gemerkt. Aber in der Unterhaltungsbranche ging es nicht nur um Talent, man musste auch ein Showman sein, wie er das formulierte. Wir mussten das „Jackson-Geheimnis“ erschaffen. Bei den Tanzschritten sollten wir auf keinen Fall zählen. „Das dürft ihr nicht. Eins, zwei, drei, kick – das geht nicht. Das ist Tanzen nach Zahlen. Ihr müsst wissen und fühlen, was als Nächstes geschieht. Weg mit dem Zählen, her mit dem Gefühl!“
Am Anfang war Joseph geduldig und nahm sich viel Zeit, um uns nach seinen Vorstellungen zu formen. Er wusste, dass wir noch feucht hinter den Ohren waren, und darum zeigte er sich nachsichtig. Als er dann merkte, dass wir nach und nach besser wurden, war er sehr zufrieden, und das wiederum stachelte uns zu neuen Höchstleistungen an. Es ging darum, ihn zu beeindrucken und seinen Respekt zu erlangen. Wenn Verwandte wie Onkel Luther und Mama Martha zu Besuch kamen, ließ Joseph uns vorsingen. Und auch, wenn sie begeistert waren, reichte ihm das nie. „Ihr könnt noch mehr geben. Ihr könnt noch besser sein!“ Zumindest trieb uns Joseph zu einer Sache an, die uns Spaß machte. Und er verbrachte Zeit mit uns, im Gegensatz zu vielen anderen Vätern aus der Nachbarschaft. Wir fühlten uns ermutigt, nicht gedrängt – als ob er uns in eine Richtung führte, in die wir selbst gehen wollten.
„Blut, Schweiß und Tränen, Jungs – wenn ihr die Besten werden wollt, dann geht es nur so“, sagte er.
Tito meisterte die Gitarre, ich war ein starker Sänger, und Jackie hatte sein Talent als Tänzer schon bei den vielen Wettbewerben mit Rebbie bewiesen. Er führte uns bei den Tanzeinlagen, die Joseph vorschwebten, und wir machten es ihm nach, bis wir uns einheitlich bewegten. Das fiel uns nicht wirklich schwer; wir waren alle leichtfüßig. Abseits unserer Sessions wurde ich dazu ermutigt, Balladen zu singen, wie Mutter sie gern hörte, „Danny Boy“ oder „Moon River“. Ich brachte sie mir bei, indem ich die LPs auflegte und die Texte mitschrieb. Am schwersten war es, die Töne mit meinen Kinderlungen so lange zu halten, wie die Originale es erforderten, aber Joseph merkte, dass ich mir Mühe gab.
„Du musst aus dem Bauch heraus singen“, erklärte mir unser Gesangslehrer, Choreograph und Manager in Personalunion. „Stell dir einen Ballon vor, der sich ausdehnt. So ist das beim Einatmen. Beim Ausatmen singst du, da hältst und kontrollierst du die Töne. Denk an einen Dudelsack.“ Noch viele Jahre verglich ich meine Lungen innerlich mit Ballons und Dudelsäcken, denn so – in den Bauch hinein atmend – habe ich singen gelernt.
„Bevor ihr euch mit dem Text beschäftigt, müsst ihr erst einmal die Melodie beherrschen. Ihr müsst wissen, wo die Akkordwechsel liegen, und die Intonation meistern.“ Das war die wichtigste Lektion, die wir in der Jackson Street 2300 bekamen: Die Melodie liegt darin, die eigene Stimme zu begreifen, und Melodie ist alles. „Ihr solltet in der Lage sein, auch ohne Begleitung ein Lied zu singen.“ Auch unser „Ohr“ wurde so trainiert.
Wir wussten, dass wir allmählich
Weitere Kostenlose Bücher