Young Sherlock Holmes 3
Es muss doch so etwas wie eine
Bedeutung
, ein
Sinn
dahinterstecken? Das Leben muss doch aus mehr bestehen, als nur eine bessere Art von Tier zu sein.«
»Und Musik ist also das, was uns von den Tieren unterscheidet?«, fragte Crowe und bedachte ihn mit einem skeptischen Blick.
»Unter anderem.«
Crowe zuckte die Schultern. »Kann nicht behaupten, dass ich jemals viel Zeit dafür gehabt hätte. Mensch zu sein bedeutet für mich, mich um meine Familie zu kümmern, auf mich aufzupassen und nach Kräften sicherzustellen, dass die Menschen um mich herum aufeinander achtgeben. Wenn mich das lediglich zu einer anderen Art von Tier macht, dann ist es eben das, was ich bin.«
»Aber was ist der Sinn des Ganzen?«, brach es zu seiner eigenen Überraschung unvermittelt aus Sherlock heraus. »Wenn es nichts gibt, wodurch wir uns …«, er rang nach dem richtigen Wort, »
›erhaben‹
fühlen können, wozu macht man dann überhaupt etwas?«
»Um zu überleben«, antwortete Crowe nur. »Wir leben, um zu überleben.«
»Und das ist alles?«, fragte Sherlock enttäuscht. »Wir machen einfach weiter, nur damit wir weitermachen können? Wir leben, um zu überleben, und überleben, um zu leben?«
»Genau darum geht’s«, bestätigte Crowe. »Als Philosophie macht es sicherlich nicht viel her. Aber es hat den Vorteil, knapp und bündig und größtenteils unbestreitbar zu sein. Also, bleibst du jetzt noch zum Essen hier oder kehrst du zu
deinesgleichen
zurück?«
Sherlock hielt die Argumente zurück, die sich in seinem Kopf bereits geformt hatten – enttäuscht, dass Crowe das Thema so abrupt gewechselt hatte, aber auch froh, dass es nun keine Konfrontation zwischen ihnen geben würde. Er mochte Amyus Crowe, und er wollte nicht, dass sie sich wegen etwas so Banalem wie Musikstunden überwarfen. »Ist Virginia hier?«
»Sie ist irgendwo draußen und holt Wasser für Sandia. Schau nach ihr, wenn du magst.«
Als Sherlock sich zur Tür wandte, ließ Crowe noch einmal seine knurrige Stimme vernehmen. »Vielleicht interessiert es dich ja, dass Rufus Stone auch der Name eines Dorfes in der Nähe von Southampton ist. Könnte natürlich Zufall sein, könnte aber auch sein, dass er irgendwann mal um einen Namen verlegen war und sich dann für einen entschieden hat, der ihm gerade in den Kopf kam. Zum Beispiel weil er ihn irgendwo auf einem Wegweiser gesehen hat. Nur so ein Gedanke.«
Ein Gedanke, den Sherlock beunruhigend fand. Allerdings fand er auch, dass es ziemlich kleinkariert von Crowe gewesen war, das Ganze aufzubringen.
Draußen stieß er auf Virginia. Sie hatte einen Eimer mit Wasser geholt, den Sandia mit Hingabe leerte.
»Was hat dein Vater eigentlich gegen Rufus Stone?«, fragte er.
»Ach, hallo Sherlock! Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen.« Sie warf ihm einen kurzen Blick von der Seite zu.
»Du willst mir doch nicht wirklich sagen, dass du es nicht weißt?«
»Ich habe ehrlich keine Ahnung«, gestand Sherlock.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich hab es schon früher gesagt und sage es wieder: Für so einen cleveren Burschen kannst du manchmal ganz schön dämlich sein.«
»Aber das ergibt alles keinen Sinn!«, protestierte er. »Ich dachte, dein Vater wäre froh, wenn ich neue Freunde finde und neue Interessen entwickle.«
Virginia wandte sich ihm nun vollends zu und stemmte die Hände in die Hüften. »Lass mich dir eine Frage stellen. Wenn dein Vater nicht in Indien, sondern immer noch in England wäre, was würde er wohl von meinem Vater halten? Würden sie miteinander klarkommen?«
Sherlock runzelte die Stirn und dachte nach. »Ich bezweifle es«, sagte er schließlich. »Sie kommen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, erstens, und …«
Er brach ab, unsicher, wie er den Gedanken in Worte kleiden sollte.
»Und was?«, drängte sie ihn.
»Und in gewisser Weise macht dein Vater das, was mein Vater machen würde, wenn er hier wäre.« Allein die Worte auszusprechen war Sherlock peinlich. »Mir Sachen beizubringen und so. Mich auf Wanderungen in die Natur mitzunehmen. Mir Ratschläge zu geben.«
»Richtig. Er benimmt sich dir gegenüber wie ein Vater.«
Unsicher lächelte er sie an. »Hast du nichts dagegen?«
Nun musste auch sie lächeln. »Es ist schön, dich um mich zu haben.« Sie wandte kurz den Blick ab und sah ihn dann wieder an. »Und du hast recht – dein Pa wäre eifersüchtig, dass du Zeit mit jemandem verbringst, der dich wie seinen Sohn behandelt. Erst recht, wenn diese Person dir
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