Young Sherlock Holmes 3
Dinge beibringt, die er nicht kann.«
Plötzlich war es, als würde ein greller Stern des Verstehens in seinem Kopf explodieren. »Und
dein
Vater ist eifersüchtig auf Rufus Stone, weil er denkt, dass Rufus sich mir gegenüber wie ein Vater benimmt?« Der Gedanke war so gewaltig, so ungeheuerlich, dass er sein ganzes Denken auszufüllen schien. »Aber das ist albern!«
»Warum?«
»Weil Rufus so gar nichts von einem Vater an sich hat. Er ist eher so was wie ein viel älterer Bruder. Oder wie ein junger Onkel oder so. Dass er mir beibringt, Violine zu spielen, bedeutet außerdem nicht, dass ich deswegen den Unterricht deines Vaters weniger mag. Das sind zwei komplett verschiedene Dinge. Das Ganze ist einfach … unlogisch!«
Sie starrte ihn an und schüttelte den Kopf. »Emotionen sind nicht logisch, Sherlock. Und sie folgen keinen Regeln.«
»Dann mag ich keine Emotionen«, sagte er trotzig. »Sie sind zu nichts nütze, außer Verwirrung zu stiften und zu verletzen.«
Für einen langen Augenblick schienen die Worte förmlich zwischen ihnen in der Luft zu schweben und wie eine geschlagene Glocke zu vibrieren.
»Einige Emotionen sind es wert, dass man sie empfindet«, sagte sie schließlich mit sanfter Stimme und wandte sich ab. Sie beugte sich herab und hob den Eimer auf. »Zumindest denke ich so, auch wenn du das nicht tust.«
Sie ließ ihn stehen und ging auf die Rückseite des Cottages zu. Sherlock starrte ihr nach, bis sie um die Ecke verschwunden war. Er hatte das Gefühl, dass gerade etwas Bedeutsames passiert war. Doch er war sich nicht sicher, worum es sich genau handelte.
Nach einer Weile begab er sich wieder zu seinem Pferd zurück. Er hatte Virginia nicht einmal erzählt, dass er es Philadelphia getauft hatte. Gut möglich, dass er nicht viel über Emotionen wusste. Aber so viel wusste er immerhin: Jetzt war nicht die richtige Zeit, um zurückzugehen und das nachzuholen.
Während er nach Holmes Manor zurückkehrte, schwirrte ihm der Kopf vor lauter Mutmaßungen über Amyus Crowe, Virginia, Rufus Stone und seinen im Moment so weit entfernten Vater. Mutmaßungen, die er absolut nicht mochte. Denn sie waren kompliziert und unlogisch. Eben emotional.
Als er zurückkam, stöberte er seinen Onkel Sherrinford auf und berichtete ihm von Mycrofts Brief. Weder bat er direkt um Erlaubnis, nach London zu fahren noch teilte er Sherrinford freiweg mit, dass er – ungeachtet, was gesagt werden würde – auf jeden Fall fahren würde. Er erweckte einfach den Eindruck, dass das Ganze beschlossene Sache sei. Zum Glück war sein Onkel gerade mitten dabei, eine der religiösen Predigten zu verfassen, die er für ein paar Schillinge das Stück an Vikare im ganzen Land verkaufte. Eine Ablenkung, die zur Folge hatte, dass er nur allzu glücklich darüber war, einfach auf Sherlocks Vorhaben eingehen zu können, zumal es etwas war, was auch Mycroft wollte.
Als Sherlock am nächsten Morgen aufwachte, erhob sich die Sonne gerade über den Baumwipfeln und von Horizont zu Horizont spannte sich ein strahlend blauer Himmel. So in hellem Sonnenlicht kamen ihm die Sorgen und Grübeleien von gestern auf einmal banal und unwichtig vor. Rasch zog er sich an und nach einem eilig heruntergeschlungenen Frühstück aus Porridge und Toast fragte er, ob eine der Kutschen ihn zur Bahnstation bringen könne. Schließlich war das besser, als sein Pferd stundenlang dort angebunden zu lassen, während er in London weilte.
Amyus Crowe erwartete ihn bereits auf dem Bahnsteig. In seinem weißen Anzug und dem weißen Hut wirkte er wie immer eindrucksvoll und fast gewaltig. Mit einem Nicken begrüßte er Sherlock.
»Ich glaube, wir beide haben uns da gestern Nachmittag etwas verrannt«, brummte er. »Tut mir leid, wenn sich das, was ich gesagt habe, etwas barsch und unangemessen angehört hat.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Sherlock beschwichtigend. »Wenn man von etwas überzeugt ist, sollte man es auch sagen. Es nicht zu tun wäre verlogen.«
Crowe gab ein tiefes Räuspern von sich. »Ginnys Mutter mochte Opern«, fuhr er dann mit leiser Stimme fort. »Stand total auf einen Deutschen namens Wagner. Nach ihrem Tod konnte ich weder Orchester- noch irgendwelche Gesangskonzerte ertragen.«
»Ich verstehe«, erwiderte Sherlock leise.
»Dann bist du ein weiserer Mann als ich.«
Zum Glück traf in diesem Moment der Zug ein, bevor die Unterhaltung noch peinlicher werden konnte.
Die beiden nahmen in einem Abteil Platz, das sie ganz für sich
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