Zähl nicht die Stunden
gesehen.«
»Was machen denn all die Capilettis in meinem Haus?« Mattie fragte
sich, ob sie in einem ihrer eher albernen Träume gelandet war. Das
musste es sein, entschied sie und entspannte sich bei dem Gedanken. Sie war noch immer irgendwo über dem Atlantik, hatte den Kopf an Jakes
Brust gekuschelt und das Echo seines Ich liebe dich im Ohr. Sie würde jeden Moment aufwachen, sagte sie sich, und er würde nach wie vor
neben ihr sitzen und noch immer die Worte flüstern, die zu hören sie ein ganzes Leben gewartet hatte.
Doch auch wenn Mattie versuchte, sich davon zu überzeugen , dass dies lediglich ein weiteres albernes , unsinniges Produkt ihrer hyperaktiven Phantasie war , wusste sie doch , dass sie hellwach war und wirklich auf ihrem mit Asche und Bierflecken besudelten Sofa inmitten einer Szenerie saß , die eher einem Kriegsgebiet glich , jedoch tatsächlich ihr Wohnzimmer war. »Es hat eine Party gegeben?« , fragte sie noch einmal, während ihr Blick die beiden golden-rosafarbenen Sessel
registrierte, die Bezüge entlang der vertikalen Streifen des Musters aufgeschlitzt , und den Stutzflügel, die kunstvoll geschwungenen Beine zerkratzt und verstümmelt. Der handgeknüpfte Teppich war mit
Krümeln und weniger identifizierbarem Unrat verdreckt, während das
Ken-Davis-Gemälde offenbar mit rohen Eiern beworfen worden war.
»Das habe ich mich nicht getraut anzurühren« , sagte ihre Mutter , Matties Blick folgend. »Ich hatte Angst , dass vielleicht die Farbe abgehen würde , wenn ich versuche, es sauberzumachen.«
»Wann ist das passiert?«
»Samstagabend.«
Und plötzlich war vollkommen klar, was geschehen war. Mattie
seufzte, schloss die Augen und lehnte sich auf dem Sofa zurück. Der abgestandene Zigarettengestank stieg ihr in die Nase, und sie konnte das bittere Aroma des verschütteten Biers auf der Zunge schmecken. »Kim«, sagte Mattie ausdruckslos.
»Es war nicht ihre Schuld« , beeilte Matties Mutter sich zu erklären.
»Sie hat versucht , die Leute aufzuhalten. Kim hat selbst die Polizei angerufen.«
»Hast du Kim erlaubt, eine Party zu feiern?« Jake hielt Matties Hand die ganze Zeit weiter fest.
»Nein«, gestand Viv nach kurzem Zögern. »Sie hat mir erzählt, dass
sie zu einer Party gehen wollte. Wo, hat sie nicht gesagt.«
»Sie hat versäumt zu erwähnen , dass sie die Gastgeberin dieser kleinen Feierlichkeit war« , stellte Jake fest.
»Es sollten nur ein paar Freunde von der Schule sein , aber offenbar sind Leute aufgetaucht, die gar nicht eingeladen waren. Kim hat sie aufgefordert zu gehen, aber sie haben sich geweigert , und dann ist das Ganze sehr schnell außer Kontrolle geraten. Kim hat die Polizei
angerufen , aber wer immer die Unruhestifter waren , sie konnten entkommen , bevor die Polizei eintraf. Leider nicht, bevor sie ein ziemliches Chaos angerichtet hatten. Die Capilettis sind seit dem frühen Morgen im Einsatz. Die meisten Schäden waren im Erdgeschoss. Du
musst nachsehen, ob irgendwas fehlt.«
»The Falling Man«, sagte Mattie und meinte eine kleine
Bronzeskulptur von Ernest Trova, die auf dem Flügel gestanden hatte.
»Er ist weg.«
»Dieser komische Glatzkopf, der ein bisschen so aussieht wie ein
Oscar?«, fragte ihre Mutter, und Mattie nickte. »Die Polizei hat ihn im Vorgarten gefunden. Ich dachte, es wäre irgendeine neumodische
Pfeffermühle, und hab das Ding in die Küche gestellt.«
»Du hast gedacht , es wäre eine Pfeffermühle?« , fragte Mattie ungläubig.
»Ich habe nie behauptet, eine Kunstexpertin zu sein«, verteidigte ihre Mutter sich.
»Wo ist Kim jetzt?«, fragte Jake.
»Sie wollte nach der Schule zu Rosemary Colicos«, sagte Viv. »Bitte, sei nicht zu streng mit ihr, Jake. Ich weiß, dass das, was sie gemacht hat, sehr verkehrt war, aber sie ist ein gutes Mädchen. Das ist sie wirklich. Sie war völlig außer sich über das, was passiert ist, und ich weiß, dass sie vorhat , es wieder gutzumachen. Sie wird im Sommer jobben und alles , was nicht von der Versicherung abgedeckt ist , ersetzen.«
»Es ist keine Frage des Geldes.«
»Das weiß ich.« Viv nahm vorsichtig auf einem der goldrosa-
gestreiften Sessel Platz. »Und sie weiß das auch.«
Mattie sah , wie ein Fetzen des Bezugs über den Schoß ihrer Mutter wehte. Sie hatte die Sessel schon seit geraumer Zeit neu beziehen lassen wollen , dachte sie abwesend.
»Und wie war eure Reise?« , wollte ihre Mutter wissen , als ob das unter den gegebenen Umständen eine
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