Zähl nicht die Stunden
Englisch.
Jake lehnte sich in das rissige grüne Kunstlederpolster des uralten Taxis zurück. Zum Glück war der Flughafen Charles de Gaulle sehr
behindertengerecht gestaltet. Es gab spezielle Telefondienste sowie
Ruheräume , Fahrstühle , Laufbänder , Rollstühle und einen Gepäckdienst.
Mitarbeiter in speziellen Uniformen standen zur Unterstützung bereit.
Würde Mattie sie finden? Würde sie in der Lage sein , sich verständlich zu machen? Jake musste beinahe lächeln. Was auch immer das Problem war , Mattie hatte nie Schwierigkeiten gehabt , sich verständlich zu machen.
Würde er sie finden? Würde er noch rechtzeitig kommen? Es war
absolut möglich , dass sie sich nicht mal die Mühe machte , ihren Flug umzubuchen , sondern einfach zum erstbesten Schalter ging und das nächste Flugzeug nahm. Sie hatte ihre Kreditkarten. Und es gab kein
Gesetz, das besagte, dass sie direkt nach Chicago fliegen musste.
Vielleicht entschied sie sich für New York oder Los Angeles, von wo aus sie sich immer noch um einen Anschlussflug kümmern konnte. Jake
seufzte vernehmlich und trat das imaginäre Gaspedal unter seinem Fuß durch. Mattie war erregt. Sie war wütend. Sie war unberechenbar. Er musste sie finden.
Das Taxi hielt vor dem Terminal, und Jake warf ein paar 100-Franc-
Scheine auf den Vordersitz, ohne auf das Wechselgeld zu warten. Er
stürzte in die Halle und suchte die Anzeigetafel mit den Abflügen.
»Verzeihung«, fragte er eine Stewardess, »wo gehen die Flüge nach
Chicago ab?« Er war schon wieder losgerannt , bevor die erstaunte Frau mit ihrer Erklärung fertig war.
»Verzeihung«, sagte er zu einem älteren Mann, den er anrempelte.
»Excusez-moi«, entschuldigte er sich bei einer jungen Frau, deren Koffer er halb zu Boden riss. »Verzeihung. Excusez-moi. Excusez-moi«,
wiederholte Jake immer wieder, obwohl er eigentlich allen
entgegenschreien wollte: »Aus dem Weg, verdammt noch mal.« Er
rannte blindlings weiter , ohne Blick für seine nähere Umgebung, nur sein endgültiges Ziel im Auge. »Excusez-moi. Excusez-moi.«
Und dann sah er sie. Sie saß in einem Rollstuhl am Ende einer Reihe
miteinander verbundener, orangefarbener Plastiksitze und starrte in ihren Schoß. Sie hatte es geschafft. Ganz alleine. Sie hatte sich im strömenden Regen ein Taxi organisiert und ohne jede Hilfe seinerseits ihren Weg durch den geschäftigen Flughafen bewältigt. Sie hatte den richtigen Schalter gefunden , sich einen Rollstuhl besorgt und zweifelsohne einen Platz in einem früheren Flug ergattert. Mein Gott, sie war wirklich erstaunlich, dachte Jake und blieb stehen, um zu Atem zu kommen.
Sie raubte ihm den Atem.
Und was jetzt?, fragte er sich, während er im Kopf all die Sätze
durchging, die er sich auf der scheinbar endlosen Fahrt aus der City zurechtgelegt hatte. Er hatte einige wohl gewählte Worte zu seiner
Verteidigung vorbereitet und stumm einige entscheidende
Formulierungen einstudiert. Dies würde das wichtigste Plädoyer seines Lebens werden, erkannte er, als er auf sie zuging. Es war wichtig, dass er es nicht vermasselte.
Plötzlich spürte Jake, wie er von hinten heftig angerempelt wurde, und wahrte nur mühsam das Gleichgewicht, als ein mittelalter Mann mit rotem Gesicht in die entgegengesetzte Richtung an ihm vorbei rannte.
»Excusez-moi«, murmelte der Mann, ohne stehen zu bleiben oder sich
auch nur umzudrehen, um zu sehen, ob Jake auf den Beinen geblieben
war.
Jake hörte irgendwen missbilligend mit der Zunge schnalzen.
»Ça va?«, fragte jemand. Alles in Ordnung.
»Danke, alles bestens«, sagte Jake und richtete sich unsicher auf.
»Merci. Merci.« Er blickte zu Mattie.
Sie starrte ihn direkt an, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke.
Im nächsten Augenblick suchte sie auch schon zu entkommen und den
Rollstuhl aus der Nische zu manövrieren, die man ihr zugeteilt hatte.
Doch die Räder drehten sich nur wahllos hierhin und dorthin, während Mattie verzweifelt versuchte , die Handbremse zu lösen.
»Mattie! Mattie, bitte!« Jake stürzte auf sie zu und vergaß mit jedem Schritt mehr von dem, was er sich so sorgfältig zurechtgelegt hatte.
Mattie schaffte es, die Handbremse zu lösen, und der Rollstuhl schoss nach vorn und wäre um ein Haar über seine Zehen gerollt. »Geh mir aus dem Weg , Jake« , rief Mattie.
»Bitte , Mattie. Du musst mich anhören.«
»Ich will dich nicht anhören.«
»Gibt es ein Problem?« , fragte eine ihm unbekannte Stimme.
Jake
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