Zaehme mich
würden es ihr auch nicht abschlagen.
Vor dem Haus hörte sie auf zu laufen und hämmerte dreimal an die Tür. Dann sackte sie zusammen.
Als Sarah die Augen aufschlug, erblickte sie ein Foto von Jess und Mike an ihrem Hochzeitstag. Sie war in ihrem Schlafzimmer, nackt lag sie in ihrem Bett. Panik befiel sie bei dem Gedanken, was Daniel tun würde, wenn er herausfand, dass sie hier war. Dann erinnerte sie sich wieder an alles, was geschehen war, und ihre Panik wurde zu dumpfer Verzweiflung. »Jess?« Sie war überrascht, wie heiser ihre Stimme war. Der Regen fiel ihr ein, und das Weinen. »Mike?« Sie kletterte aus dem Bett und sah sich nach ihren Kleidern um.
»Endlich.« Mike stand in der Tür. »Ich dachte schon, du verpennst den ganzen Tag.«
Sarah warf einen kurzen Blick auf die Nachttischuhr.
Zwölf nach elf. »Meine Sachen?«
Mike zuckte zusammen, als er auf ihren Körper schielte.
»In der Waschmaschine. Du musst was von mir anziehen, bis sie trocken sind.«
»Was von Jess wäre …«
»Jess ist ausgezogen.«
»Oh.« Sarah fragte sich, warum Mike sie nie länger als eine Sekunde ansah. Nicht dass es ihr etwas ausmachte.
Im Gegenteil, wenn er sich ihr sexuell genähert hätte, hätte sie geschrien und nicht mehr damit aufgehört.
»Dusch dich mal.« Er reichte ihr ein Handtuch. »Dann suchen wir was Passendes für dich aus.«
Wenn sie noch Kraft gehabt hätte, hätte sie gelacht. Sie war ganz unten angekommen – am absoluten Tiefpunkt –, und ausgerechnet auf seine Hilfe war sie angewiesen. Auf die Hilfe des professionellen Egoisten Mike Leyton.
Vorbei an seinen gesenkten Augen taperte sie ins Bad; sie erwartete sich keine Überraschungen mehr vom Leben.
Sarah fand Mike in der Küche. Sie setzte sich neben ihn, und er füllte einen Becher mit dampfend heißem Kaffee für sie. Er blickte ihr in die Augen und nahm ihre Hand.
»Was ist denn los mit dir, Sarah? Hast du eine Essstörung oder so was?«
Sie schloss die Augen und nahm einen Schluck Kaffee.
Sie verbrannte sich Zunge und Gaumen, aber er lief ihr beruhigend durch die Kehle. »Mit so viel Glamour kann ich leider nicht dienen.«
»Was machst du denn bewusstlos vor meiner Tür?«
»Ich habe Zuflucht gesucht im Haus meiner ältesten Freundin.«
Er blickte sie über seinen Kaffeebecher hinweg an. »Jess wohnt schon seit Monaten nicht mehr hier.«
»Sie ist dir also doch noch auf die Schliche gekommen, hmm?«
Mike nickte und zündete sich eine Zigarette an. Sarah riss ihm die Schachtel aus der Hand und steckte sich eine an. Sie hatte keine Ahnung, was mit ihren Zigaretten passiert war. Wahrscheinlich im Regen kaputtgegangen.
Oder vielleicht hatte sie sie bei Jamie im Büro vergessen.
Ja, das war es. Sie sah sie förmlich vor sich, die blau-weiße Schachtel auf seiner Schreibunterlage, das rote Feuerzeug daneben.
»Und jetzt stelle ich fest, dass sie mir wirklich fehlt.
Man weiß erst hinterher, was man an seiner Frau gehabt hat und so weiter.«
»Ach, deswegen bist du mir noch nicht an die Wäsche gegangen. Du hast Liebeskummer.«
Mike nahm einen Zug von seiner Zigarette. Er schaute ihr in die Augen, fuhr wieder zusammen und senkte den Blick. Das Schweigen wurde länger. Sarah spürte eisige Finger auf ihrem Rückgrat. Wenn es etwas gab, was sie früher an Mike geschätzt hatte – abgesehen vom Sex –
dann war es seine Unverblümtheit. Ausflüchte und verlegenes Schweigen waren nicht sein Stil.
»Hey.« Sie hob die Handflächen. »Ich will dich nicht belästigen. Ich bin dir dankbar, dass du nicht über mich hergefallen bist, wirklich, und auch deine Loyalität zu Jess finde ich lieb, obwohl dir das auch ein bisschen früher …«
»Sarah!« Mike packte sie an den Handgelenken. »Das ist es nicht, mein Gott!« Er schluckte schwer, als wäre ihm etwas in der Kehle stecken geblieben. Seine Hände lösten sich von ihr, und er blickte ihr wieder in die Augen. Sah sie an, als täte es ihm weh. »Hast du dich in letzter Zeit mal im Spiegel angeschaut?«
Sie hielt seinen Ekel nicht mehr aus und wandte den Kopf ab. »Oh, ich hatte ganz vergessen, dass du auf Kurven stehst.«
»Nein, Sarah, das meine ich nicht …« Seufzend bedeckte Mike seine Augen. »Ich hab dich überhaupt nicht erkannt, als ich dich gefunden habe. Ich wollte schon die Polizei anrufen, damit sie mir die kaputte Zehnjährige von der Türschwelle kratzen. Wenn ich dich anfassen würde, hätte ich Angst, dass du auseinander brichst. Ich hätte dich auch gar nicht
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