Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
Stärken.
Und doch war er hier und drehte freiwillig Däumchen, bis Kiyoko Ashida ihren sehr langen Arbeitstag beendet haben würde. Denn die Alternative – bis morgen zu warten – war noch schlimmer.
Er stand auf der anderen Straßenseite, mit Blick auf das glänzende Glasgebäude der Ashida Corporation, und fasste jedes Auto ins Auge, das die Tiefgarage verließ. Leider war Sapporo nicht mit der quirligen Metropole Tokio zu vergleichen, und so erregte seine große Gestalt Aufmerksamkeit auf der ruhigen, von Bäumen gesäumten Straße. Aber er blieb trotz der neugierigen Blicke wachsam. Als die Stunden vergingen und die Dunkelheit hereinbrach, wurde er jedoch immer ungeduldiger. Der Flug von Los Angeles war lang gewesen, und er brauchte etwas zu essen und das eine oder andere Glas Bier.
Es war fast sieben Uhr, als das breite Garagentor endlich in die Höhe rasselte und eine schnittige, dunkle Limousine amerikanischen Fabrikats Richtung Norden auf die Straße glitt.
Ohne seine Seelenwächter-Nachtsichtigkeit wäre es unmöglich gewesen, die Insassen hinter den getönten Fenstern zu erkennen. Doch so konnte er drei Menschen im Inneren der Limousine ausmachen – Watanabe, die junge Frau, die, wie er von Lenas Foto wusste, Kiyoko Ashida war, und einen älteren Mann mit weißem Haar.
Das Warten war vorüber.
Murdoch stieg in den winzigen Wagen, den er am Flughafen gemietet hatte, und folgte ihnen. Er fühlte sich in dem Honda beengt, aber die Angst davor, die Limousine auf den fremden Straßen zu verlieren, verdrängte das Gefühl des Unbehagens.
Nachdem er die Stadt einmal durchquert hatte und seine Beute ihm einige Male an roten Ampeln fast entwischt wäre, fuhr er hinter der Limousine an den Straßenrand. Sie hatte vor einem siebenstöckigen, braun-weißen Gebäude angehalten. Murdoch konnte kein Wort Japanisch lesen, aber die riesige Krabbe, die über dem Haupteingang hing, wies das Haus als Fischrestaurant aus.
Die drei Insassen der Limousine stiegen aus und betraten das Gebäude.
Als das Fahrzeug von einem Angestellten weggefahren wurde, begab sich Murdoch auf die verzweifelte Suche nach einem Parkplatz, ohne dass einer in Sichtweite gewesen wäre. Erst zehn Minuten später kehrte er zu Fuß zurück. Beruhigende Koto-Musik und eine lächelnde junge Frau, die in einen marineblauen Kimono mit hellgelbem Obi gekleidet war, empfingen ihn.
»Ich suche einen Gast«, erklärte er ihr. Er sprach langsam, in der Hoffnung, so die Sprachbarriere überwinden zu können.
»Sein Name, Sir?«, fragte die Hostess und blickte auf ihre Reservierungsliste.
Englisch, gelobt sei Gott!
Trotz der überwältigenden Anzahl japanischer Gesichter, die er sehen konnte, war das Restaurant ganz offenbar auch eine Adresse für Touristen.
»Watanabe. Er ist mit Miss Kiyoko Ashida hier.«
Ihr Gesicht blieb freundlich, doch ihr Tonfall kühlte sich kaum merklich ab. »Watanabe-san und seine beiden Gäste speisen in einem Separee für drei.«
Mit anderen Worten:
Sie werden nicht erwartet.
»Sagen Sie mir nur, wo das ist«, gab er zurück. Unter Aufbietung all seines Charmes lächelte er sie innig an. »Ich gehe hin, sage Hallo, und vielleicht wird Mr Watanabe Sie dann um einen größeren Tisch bitten.«
Alle Freundlichkeit wich aus dem Gesicht der Hostess, und es blieb nichts als Abweisung, die jedoch nicht angriffslustig wirkte. Auch die Neigung ihres Kopfes strahlte bemerkenswerte Zurückhaltung aus. »Das würde gegen die Regeln verstoßen, Sir. Wenn Sie mir Ihren Namen nennen, werde ich Ihre Bitte Watanabe-san vortragen. Sie dürfen als Gruß des Hauses ein Glas Sake trinken, während Sie warten.«
Sie war ein wirklich guter Zerberus.
Und wenn er nicht so entschlossen gewesen wäre, hätte sie auch gewonnen.
Mit seiner breitschultrigen, über 1,80 Meter großen Gestalt beugte Murdoch sich über sie, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Spaß beiseite, Mädchen. Ich kriege meinen Willen. Entweder Sie sagen mir jetzt, wo Mr Watanabe und seine Gäste sitzen, und ersparen sich selbst die Peinlichkeit, dass ein großer Schotte ins Separee platzt, oder ich mache es auf die harte Tour und verschütte eine Menge grünen Tee. Sie haben die Wahl.«
Sie senkte den Blick. »Ich hole den Geschäftsführer.«
Und weg war sie.
Murdoch sah auf den ausgeklügelten elektronischen Sitzplan auf dem Pult, aber er bestand aus einem Gewimmel unverständlicher japanischer Schriftzeichen. Die einzigen vielversprechenden
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