Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
vorfreudiges Lächeln spielt um seinen Mund. »Jetzt.«
Mein Vater Benedict, Erzmagier von Asphodel, besitzt eine Bibliothek, die zu den schönsten Räumen gehört, die ich je gesehen habe. Zwischen bodentiefen Fenstern stehen schwere Regale aus Rotholz mit kunstvollen Schnitzereien, in denen sich in Leder gebundene, mit Gold und Kupfer geprägte Bände aneinanderreihen. Erhält man die Erlaubnis, einen der Folianten herauszuziehen und seinen schweren Deckel aufzuschlagen, entdeckt man kostbare Buchmalereien aus Lapislazuli-Pigmenten und Blattgold. Längst verstorbene Kalligrafen haben die Worte Buchstabe für Buchstabe übertragen. Kopisten, die nicht lesen konnten, was sie in schönen filigranen Lettern niederschrieben. Es ist ein Raum, der mich mit Grauen erfüllt.
Aluid hält mir die schwere Holztür auf und verbeugt sich mit übertrieben höfischer Unterwürfigkeit, ein hämisches Grinsen im Gesicht. Ich würde ihn am liebsten noch einmal ohrfeigen, aber sobald ich Benedicts Bibliothek betreten habe, beginne ich so sehr zu zittern, dass der Tutor bedeutungslos wird.
Da ist er: der Briefbeschwerer. Ich sehe ihn sofort. Er thront in der Mitte des Schreibtischs aus Zedernholz. Ich nehme kaum wahr, wie Aluid davoneilt, um meinen Vater zu holen. Meine Füße tragen mich vorwärts, bis ich vor dem Tisch stehe. Der Briefbeschwerer ist eine Halbkugel aus massivem Glas und so groß wie eine ausgestreckte Hand. In die gewölbte Oberfläche ist ein kompliziertes Muster aus ineinander verschlungenen silbernen Linien eingelassen – Benedicts Magier-Insigne.
Das kostbare Symbol der Macht meines Vaters leuchtetin der tief stehenden Nachmittagssonne. Aber seine Vollkommenheit hat einen Makel: einen roten Fleck, der wie eine frische Wunde zwischen den sich windenden silbernen Linien hervorquillt. Ein Blutfleck.
In einer längst vergangenen Frühlingsnacht, als ich neun bin, wache ich auf und bin allein.
»Swift?«, rufe ich. Sie antwortet nicht und die Angst vor dem Dunkel greift nach meiner Kehle, sodass ich kaum noch atmen kann. Wo steckt sie? Es ist ihre Pflicht, bei mir zu sein. Um die Dunkelheit fernzuhalten. Als mir plötzlich klar wird, wo sie sein muss, verwandelt sich meine Panik in nacktes Entsetzen.
»Oh, Swift!« Ich taste unter dem Bett nach meinen Pantoffeln, stoße mir den Kopf und murmle sämtliche Verwünschungen vor mich hin, die ich kenne. Die meisten davon hat sie mir beigebracht.
Meine Stimmung ist düster wie die Nacht, als ich auf dem Weg zur Bibliothek meines Vaters die Korridore des Palasts entlangschleiche. Aber meine Angst ist größer als meine Wut. Swift ist der einzige Mensch, den ich je geliebt habe. Der einzige Mensch, der mich liebt. Ich würde für sie sterben … für ein Tribut-Kind. Es mag schändlich und dumm sein, aber es ist die Wahrheit.
»Bitte beschütze sie«, flehe ich unsere Göttin, die Zeit, an. »Beschütze sie, auch wenn sie nur ein Tribut-Kind ist. Lass meinen Vater keine Wachen vor der Bibliothek aufgestellt haben.«
Danke, Zeit! Gepriesen seiest du. Ich drücke mit klopfendem Herzen die schwere Holztür auf und schlüpfe in die Bibliothek. Da ist sie. Sie sitzt, eine Kerze neben sich, am Schreibtisch meines Vaters, und vor ihr liegt ein aufgeschlagenes Buch. Sie liest. Blasphemie! Aber ich bin es, die ihr das Lesen beigebracht hat …
Vor Erleichterung wird mir schwindelig. Ich laufe zu ihr. »Närrin!«,zische ich. »Willst du vielleicht sterben?« Dann drücke ich sie mit aller Heftigkeit der Liebe an mich.
Swift befreit sich aus der Umarmung und zeigt auf das Buch auf dem Schreibtisch. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Hier steht etwas, das ich dir zeigen will.«
Es ist ein verstaubtes, altes Geschichtsbuch. Benedicts Bibliothek ist voller Bücher über die Kunst der Magie, aber um die macht Swift immer einen großen Bogen. Stattdessen stöbert sie nach Geschichten aus der Vergangenheit. »Warum riskierst du immer wieder dein Leben, um Geschichten über Menschen zu lesen, die längst tot sind? Du weißt doch, was passiert, wenn man dich hier findet.«
»Ich will die Wahrheit herausfinden«. Sie sieht mich mit leuchtenden Augen an, und der Wissensdurst, der darin liegt, macht mir Angst. »Dieses Buch wurde von einem Erschaffer geschrieben. Es handelt von ihrer Rebellion. Sie haben die Magier nicht besiegt, weil böse Geister ihnen geholfen haben. Das sind alles Lügen. Es waren Leute wie meine Mutter, einfaches Vieh, Tribut-Sklaven wie ich, die sich
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