Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
erhoben und rebelliert haben. Die Magie wurde auf der anderen Seite des Walls ausgelöscht, und was dort möglich war, kann auch hier möglich sein.«
Ketzerei! »Dieses Buch ist aus den verbotenen Regalen, habe ich recht?« Ich sehe sie entsetzt an. »Wir müssen es sofort zurückstellen!« Ich schlage das Buch zu und streife dabei mit der Hand den Briefbeschwerer, der auf dem Schreibtisch meines Vaters steht.
»Sieh nur!« Ich umklammere Swifts Arm. Im Inneren der gläsernen Halbkugel glüht plötzlich ein Licht auf. Die silbernen Wirbel scheinen sich zu bewegen wie eine sich langsam windende Schlange. In meinen Ohren ertönt ein seltsames Sirren.
»Fass es nicht an!«
Sie ist nur ein Tribut-Kind. Natürlich fürchtet sie sich vor Magie. Sie kann gar nicht anders. Ohne sie zu beachten, lege ich die Hand auf denBriefbeschwerer. Er ist warm. Und durch das Glas spüre ich ein ängstliches und schmerzerfülltes Pochen, das mich an ein schlagendes Herz erinnert. Jetzt fürchte ich mich auch. Ich ziehe die Hand weg, greife nach dem Buch und wende mich, mit Swift im Schlepptau, zur Tür.
Aber es ist zu spät. Mein Vater steht schon im Raum.
Er kommt auf uns zu und nimmt mir das Buch aus den tauben Händen. Swift presst sich an mich.
»Das hier steht nicht auf der Liste der Bücher, die du lesen darfst.« Benedict betrachtet den Einband. Als sein Blick sich wieder hebt, ruht er erst auf mir, dann auf Swift, die sich hinter mich duckt. »Falls tatsächlich du diejenige warst, die es gelesen hat …«
»Natürlich, wer sonst.«
»Ich wusste gar nicht, dass du dich für Geschichte interessierst. Oder dass du dich überhaupt fürs Lernen interessierst. Ich soll dir also glauben, dass es neu entdeckter Wissensdurst war, der dich mitten in der Nacht aus dem Bett getrieben hat?« Sein Lächeln ist säuerlich. »Und was hat sie hier zu suchen?«
»Ich habe Angst im Dunkeln.« Es ist wahr, aber von solchen Dingen weiß mein Vater nichts.
»Schwäche.« Er seufzt. »Und darüber hinaus bist du auch noch eine miserable Lügnerin.« Sein Blick wandert zu Swift. Ich höre, wie sie den Atem anhält, und greife hinter mir nach ihrer Hand.
»Dich hierherzuholen …«, sagt er langsam, »… war ein Fehler.« Seine Miene wird hart. »Ich bin zu nachsichtig gewesen … aber das macht nichts. Ich werde meinen Fehler berichtigen.«
Wir wissen es. Wir wissen es beide.
»Lass sie in Ruhe!«, rufe ich. »Wenn du sie anrührst, bringe ich dich um, das schwöre ich.« Ich meine es ernst. Noch nie habe ich etwas so ernst gemeint.
Er sieht mich angewidert an. »Beherrsche dich, Zara! Du bist mitdemselben Makel behaftet wie deine Mutter – Empfindsamkeit. Geh wieder ins Bett. Ich entscheide morgen über deine Strafe.«
Eine Gnadenfrist. Ich bin so unendlich erleichtert, dass ich nicht mehr denken kann. Schnell laufe ich Richtung Tür und ziehe Swift hinter mir her.
»Das Tribut-Kind bleibt hier.«
Seine Stimme lässt uns zu Statuen erstarren. Er muss dafür noch nicht einmal Magie anwenden. Ich drehe mich zu ihm um. »Nein.«
»Du hast ihr das Lesen beigebracht. Du kennst die Strafe. Sie wird sie bezahlen.«
»Sie kann nicht lesen!« Es ist eine hoffnungslose Lüge. Ich weiß genau, dass er mir nicht glauben wird – dass er mich für mein rebellisches Verhalten bestrafen wird. Ich balle die Hände zu Fäusten, hasse ihn, fürchte ihn. Doch was dann geschieht, übertrifft meine schlimmsten Erwartungen.
Benedict rührt sich nicht von der Stelle. Sein Blick ist auf mich geheftet, sein Atem geht schnell und seine Lippen ziehen sich über den zusammengebissenen Zähnen zurück. Und plötzlich spüre ich Todesangst. Es ist nie einfach, die Gefühlsregungen meines Vaters zu deuten, aber jetzt ahne ich … nein, ich weiß, dass eine Grenze in seinem Geist überschritten ist. Und dass es kein Zurück gibt.
Im einen Moment bin ich noch unversehrt, bin nur ich selbst und habe die alleinige Macht über mich. Im nächsten dringt Benedict gewaltsam in meinen Geist ein. Er ist in meinem Kopf, treibt meine Gedanken auseinander, beherrscht meinen Willen, kontrolliert meinen Körper. Mein innerstes Selbst, der kleine Teil von mir, der nur mir allein gehören sollte, gehört nun ihm. Ich versuche, mich zu wehren – ihn hinauszudrängen –, aber es ist, als versuchte man, eine Lawine aufzuhalten. Sein Geschmack ist ekelhaft, die Demütigung so abscheulich, dass mir bittere Galle die Kehle hinaufschießt. Ich kann weder atmen noch mich
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