Zauber der Leidenschaft
Vorwarnung translozierte sich Lothaire direkt vor sie, baute sich in seiner ganzen hoch aufragenden Länge vor ihnen auf und blickte auf sie herab.
Sabine hob die Hände und streckte sie ihm entgegen, bereit, sich auf der Stelle seiner Albträume zu bedienen. »Wie ich hörte, haben deine Freunde vor, uns einen Besuch abzustatten?«
»Ich werde mich forttranslozieren, bevor du mich wütend machst, Zauberin.« Er sprach mit deutlichem Akzent. Manche sagten, er stamme aus Dakien und sei ein echter Transsilvanier.
Sabine presste die Lippen aufeinander, senkte aber die Hände. Er hatte sie nicht bedroht, und sie sollte ihn eigentlich auch nicht angreifen. Genau genommen war Lothaire Teil des Neuen Pravus. Er gehörte zum inneren Kreis. Sein Blut steckte in jener Tafel an der Ostwand und besiegelte den Pakt zwischen ihm und Omort.
»Nur um das klarzustellen«, sagte er, »ich habe keine Freunde. Und meine Soldaten befinden sich unten im Burghof.«
»Aber wer lauert dann im Wald?«, fragte sie.
»Eine der Splittergruppen, die sich von der Horde getrennt haben, nachdem der alte Vampirkönig tot war. Meine Spione haben mir berichtet, dass sie morgen Nacht angreifen wollen.«
Tornin besaß gewisse Schutzvorrichtungen, im Grunde so etwas wie einen magischen Burggraben, sodass die Vampire sich nicht direkt hineintranslozieren konnten. Zumindest nicht für längere Zeit. »Was wollen sie?«
»Den Brunnen.«
Den Seelenbrunnen. Ständig versuchte irgendeine Armee, ihn unter ihre Kontrolle zu bekommen, denn jede Faktion der Mythenwelt besaß ihre eigenen Legenden über den Brunnen.
Die Lykae glaubten, er könnte den Wahnsinn heilen, der ein Symptom der Transformation zum Werwolf war. Die Vampire glaubten, er könnte sie zu Tagwandlern machen, sodass sie sich auch am Tag im Freien bewegen könnten, und er wäre in der Lage, menschliche Frauen in Vampire und damit in potenzielle Bräute zu verwandeln. Das Haus der Hexen glaubte, er würde ihnen die Fähigkeiten aller fünf Kasten verleihen.
In Wahrheit hatte Sabine keine Ahnung, was dieser verdammte Brunnen nun eigentlich bewirkte. Sogar Omort schwor Stein und Bein, dass er es nicht wisse. Sie wussten lediglich, dass die Macht des Brunnens unvorstellbar groß sein würde und dass es nur einen gab, der in der Lage war, sie freizusetzen: Sabines Sohn.
»Wer führt die Vampire an?«, fragte Lanthe.
»Sie haben keinen richtigen Herrscher, da sie einen Nichtadligen wie mich nicht akzeptieren.«
Die Horde war dafür bekannt, ausschließlich einem Gebieter zu folgen, der königlichen Blutes war. »Und doch führst du diejenigen an, die sich dem Pravus angeschlossen haben.«
»Möglicherweise habe ich die ein oder andere Andeutung fallen lassen, dass der Brunnen den alten König der Horde wiederauferstehen lassen würde, sodass er erneut über sie regieren könne, sobald der Pravus siegreich sei.«
So ein durchtriebener Vampir. Er stieg ganz erheblich in Sabines Achtung.
»Was ist mit Kristoff?« Er war der Neffe des alten Königs und sollte der neue Herrscher sein, da er der königlichen Linie entstammte, auch wenn er kein lebendes Blut zu sich nahm.
Lothaire schüttelte den Kopf. »Sie wissen nur zu genau, dass er sie zwingen würde, sich an seine Gesetze zu halten. Sie sind jetzt schon so lange Gesetzlose, dass man sie nicht ohne Weiteres auf den Pfad der Tugend zurückbringt. Außerdem lieben sie den Geschmack menschlichen Fleisches.« Hatte er sich etwa gerade bei dem Gedanken an Blut die Fänge geleckt? »Was sich hier versammelt, ist nur ein Bruchteil der Armee. In den nächsten zwei Nächten werden sich ihnen weitere Vampire anschließen. Viele von ihnen kennen dieses Land noch von früher, als sie gegen den mächtigen Dämonenkönig kämpften.«
Jeder kannte die Erzählungen über Rydstrom, der mit seinem Furcht einflößenden schwarzen Helm ausritt und die Horde zurückdrängte. Seine Schlachten waren legendär. »Man sollte meinen, du wärst in der Lage, sie zum Gehen zu überreden.«
»Ach ja?«
»Sabine!«, brüllte Omort von drinnen. Er hatte ganz glasige Augen, aber sobald er sie an der Türschwelle erspähte, schien er sich zusammenzunehmen. Dann entdeckte er Lanthe neben ihr. »Fort mit dir, Melanthe!«, befahl er. »Zurück in deinen Turm.«
» Eines Tages … «, übermittelte Lanthe noch telepatisch, bevor sie sich aus dem Staub machte. » Viel Glück .«
Als Sabine nun auf den Thron zuschlenderte, ruhten die Augen aller auf ihr. Als sie sich von
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