Zauber der Leidenschaft
sei, und diesmal glaubte er ihr vorbehaltlos. Wie viele Tode mochte sie schon erlitten haben? Und wie genau war sie gestorben? Wie alt war sie jeweils gewesen? Kein Wunder, dass ihr das Leben so wenig bedeutete.
Heute Morgen hatte er sie angebrüllt, sie geschüttelt, damit sie ihm endlich erzählte, was er wissen wollte. Und dann war etwas passiert. Sie schien plötzlich eine ganz andere zu sein, ihre Augen waren unruhig hin und her gesprungen – keine Spur mehr von ihrer großspurigen, frechen Art.
Wie er bereits vermutet hatte, verbarg sie ihre wahren Gefühle hinter einer Illusion der Belustigung oder herablassender Nachsicht, wann immer sie unsicher war.
Jetzt war Schluss mit den Illusionen. Und sie war so daran gewöhnt, ihren Gesichtsausdruck auf magische Art zu verbergen, dass sie gar nicht mehr zu wissen schien, wie man es ohne besondere Fähigkeit anstellte, seine wahren Gefühle nicht preiszugeben.
Die wütende, sarkastische Sabine war heute sogar zum allerersten Mal rot geworden. Jedes Mal wenn sie merkte, dass sein Blick auf ihre weiße Haarsträhne fiel, überzog eine zarte Röte ihre hohen Wangenknochen. Sie tat gerade so, als ob er einen Makel in ihrem Charakter entdeckt hätte, den zu verbergen sie sich größte Mühe gab. Sabine war ein offenes Buch für ihn geworden, und was er darin las, beunruhigte ihn sehr.
Sie hatte ihn gefragt, ob die Kenntnis ihrer Vergangenheit seinen Zorn besänftigt habe. Inzwischen nahm er diesen Zorn fast gar nicht mehr wahr, als ob seine Verwirrung seine Wut überwältigt hätte. Auf Schritt und Tritt verwirrte sie ihn. Wie das komplizierteste Rätsel, dem er sich je gestellt hatte.
Diese Situation erinnerte ihn an die Zeit, als sein Freund Bowen, der Lykae, sich um die hübsche Hexe Mariketa bemüht hatte. Die beiden hatten keinen guten Start gehabt: Er hatte sie in einem Grab voller Inkubi eingesperrt und erst nach langen Wochen wieder daraus befreit.
Rydstrom erinnerte sich noch gut, wie fassungslos ihn die Verwirrung und übertriebene Aggression seines Freundes gemacht hatte. Selbstgefällig und arrogant hatte Rydstrom Bowen geraten, die Lage einfach vernünftig zu überdenken. Er wusste noch, wie Bowen ihn daraufhin angeschnauzt hatte, er freue sich schon auf den Tag, wenn Rydstrom seine eigene Frau finden würde. »Deine Hörner werden sich jedes Mal stocksteif aufrichten, wenn sie vorbeischlendert.« Bowen hatte es gar nicht mehr erwarten können, zu sehen, wie sie Rydstroms unerschütterlicher Ruhe ein Ende setzte.
War ich einmal unerschütterlich? Das schien eine Ewigkeit her zu sein. Jetzt begreife ich, was Bowen durchgemacht hat.
Aber am Ende hatte der Lykae seinen Kopf benutzt, um herauszufinden, wie er die Hexe für sich gewinnen könnte. Nachdem sie geheiratet hatten, hatte Bowen ihm etwas anvertraut: »Ich habe meine Lektion gelernt – wenn es um deine Schicksalsgefährtin geht, tue nichts Unwiderrufliches . Es gibt Grenzen, die du bei einer Frau einfach nicht übertreten darfst, und wenn du es doch tust, kannst du es niemals wiedergutmachen. Und bei einem Unsterblichen kann niemals eine verdammt lange Zeit sein.«
Tue nichts Unwiderrufliches . Wenn Rydstrom Sabine weiterhin gefesselt ließ, zog er immer mehr von ihrem Hass auf sich. Wenn er also Rache nahm, tat er damit etwas, das sie ihm niemals würde vergeben können? Es spielte keine Rolle, wer nun tatsächlich im Recht oder im Unrecht war, wichtig war nur, wovon sie überzeugt war …
Als er ihr über ein weiteres Flüsschen hinweghalf, sagte sie: »Warum willst du dieses Königreich eigentlich unbedingt zurückhaben?«
Diese Frage hatte ihm noch niemand gestellt.
Vor ein paar Wochen hatte Nïx ihn gefragt: »Was hättest du lieber? Deine Königin oder deine Krone?« Er dachte oft an jenen Abend zurück. Ihm war die Wahl nicht schwergefallen: seine Krone.
»Es ist mein Geburtsrecht«, antwortete er schließlich. Aber das war es nicht immer gewesen. Rydstrom war nicht zum Erben von Rothkalina erzogen worden. Als zweiter Sohn eines unsterblichen Königs hatte er keinen Grund gehabt anzunehmen, dass er jemals Regent sein würde.
Doch das Schicksal hatte andere Pläne mit ihm gehabt, und Rydstrom hatte seine notgedrungen geändert. »Ich möchte mein Volk wieder glücklich sehen.«
»Warum?«
»Weil ich sein König bin. Sein Wohlergehen liegt in meiner Verantwortung.«
»Zumindest bist du ehrlich und hältst keine großen Reden im Stile von ›Weil ich sie liebe wie ein Vater seine
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