Zauber des Orients
sein. Vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann würde er sie wieder von sich schieben, und sie fürchtete sich entsetzlich davor.
Jamilah hasste sich selbst für ihre Schwäche. Wo war all ihre neue Tapferkeit? Plötzlich war sie wieder das unschuldige Mädchen von damals, und ihr Herz war Salman schutzlos ausgeliefert.
In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie ihm von der Schwangerschaft erzählen musste. Sie wusste nicht, ob es aus dem Bedürfnis kam, ihm wehzutun, oder weil sie Salman einfach wissen lassen musste, dass er für einen kurzen Moment lang ein Vater gewesen war.
„Aber wenn ich schwanger wäre, würde ich das schon nach ein paar Tagen spüren“, sagte sie tonlos.
Salman runzelte die Stirn. „Was meinst du damit? Woher willst du das wissen?“
Jamilah atmete zittrig ein. „Weil ich einmal schwanger war und die Symptome sofort gespürt habe. Aber nach einem Monat habe ich das Baby verloren.“
Salman drehte Jamilah herum, bis sie ihn ansah. Doch statt Erkenntnis konnte sie nur tiefes Mitgefühl in seinen Augen sehen.
„Ist das der Grund, aus dem du schon so lange mit niemandem mehr zusammen gewesen bist?“, fragte er leise.
Es dauerte eine Sekunde, bis Jamilah realisierte, dass er nicht begriffen hatte. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, aber plötzlich wollte sie Salman nicht mehr die Wahrheit sagen. Welchen Sinn hatte es, wenn er nicht einmal für eine Sekunde in Erwägung ziehen konnte, dass sie von ihm redete?
Sie schob seine Hand zur Seite. „So ähnlich“, murmelte sie. „Aber ich bin wirklich müde. Ich habe seit Nächten nicht mehr durchgeschlafen und wäre jetzt gern allein.“
Salman runzelte irritiert die Stirn, aber zu ihrer Erleichterung nickte er nach einem Augenblick. „Bist du sicher, dass du allein sein willst?“, fragte er.
„Ja. Ich muss jetzt einfach ein paar Stunden schlafen.“
Mit einem letzten Blick auf sie stand Salman auf und ließ sie allein. Jamilah rollte sich auf dem Bett zusammen. Während Tränen ihre Wangen hinunterliefen, trauerte sie um ihr Baby, das niemals eine Chance gehabt hatte.
Im Nachbarzimmer lag Salman noch lange Zeit wach. Bei dem Gedanken, dass Jamilah von einem anderen Mann schwanger gewesen war, wurde er so rasend eifersüchtig, dass es ihm die Luft abschnürte.
Als er sich vorstellte, wie sie auf dem Höhepunkt ihrer Lust den Namen eines anderen Mannes ausrief und glücklich war, weil sie dessen Kind in ihrem Leib trug, ballte er die Fäuste und stöhnte heiser auf.
Salman konnte verstehen, dass Jamilah Kinder wollte. Welche gesunde Frau würde sich das nicht wünschen? Doch er konnte niemals der Vater ihrer Kinder sein.
Salman hatte sich geschworen, keinen Nachwuchs in diese Welt zu bringen. Das Bewusstsein, dass er sein Kind nicht vor dem Horror beschützen konnte, den es auf der Welt gab, bereitete ihm Panik. Womöglich würde er sogar sein eigenes Grauen, das sich für immer mit seinem Blut vermischt hatte, an einen Sohn oder eine Tochter weitergeben.
Aus diesem Grund hatte er vor zehn Jahren die drastische Entscheidung getroffen, sich sterilisieren zu lassen.
Salman hatte seine Fahrlässigkeit bezüglich der Verhütung vorhin nur aus der Sorge um seine und Jamilahs Gesundheit erwähnt. Aber Jamilah hatte verständlicherweise angenommen, dass er wegen einer möglichen Schwangerschaft besorgt gewesen war. Er hatte sie in dem Glauben gelassen. Niemand wusste von seinem Eingriff.
Salman drehte sich um und versetzte dem Kissen einen festen Hieb, bevor er sich hinlegte. Wenigstens konnte er nach Jamilahs Geständnis endlich verstehen, warum sie in den vergangenen Jahren stets von einer tiefen Traurigkeit umgeben gewesen war.
Als Jamilah am nächsten Tag durch die Hotelhalle ging, hatte sie das Gefühl, jeder würde sie anstarren. Konnten die Menschen ihr etwa ansehen, dass die Schutzschicht, mit der sie sich in den letzten Jahren umgeben hatte, verschwunden war?
Nach einer Weile fragte sie sich, ob sie etwas im Gesicht hatte, und überprüfte ihr Aussehen in einem Badezimmerspiegel. Sie schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Trotz der Tatsache, dass sie letzte Nacht schlecht geschlafen hatte, strahlte ihre Haut, und ihre Augen glänzten. Ihre Lippen waren von Salmans Küssen geschwollen, und sie prickelten bei der Erinnerung an die vergangene Nacht.
In diesem Moment trat eine Bekannte aus einer der Toilettenkabinen heraus. Jamilah riss sich zusammen und grüßte freundlich.
Die andere Frau
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