Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
kam es so vor, als verschwände mit ihm auch der letzte Rest ihres vertrauten Lebens. Alle Regeln, die sie bisher geleitet hatten, galten nicht mehr. Einen Augenblick kam sie sich genauso leer und ausgeplündert vor wie das Zimmer, in dem sie sich befand. Plötzlich überkam sie ein merkwürdiges Gefühl von Freiheit. Was hatte sie schon noch zu verlieren? Ephron war tot. Seit dem Dahinscheiden ihres Ehemannes war ihre bekannte Welt langsam verschwunden. Jetzt war sie vollkommen fort, und Ronica war das Letzte, was übrig war. Sie konnte jetzt ihren eigenen Weg gehen. Ohne Ephron und die Kinder interessierte sie ihr altes Leben nur noch wenig.
Nachdem die Schritte des Jungen im Gang verklungen waren, verließ Ronica Maltas Schlafzimmer und ging langsam durch das Haus. Sie hatte es seit ihrer Rückkehr vermieden, dieses geplünderte Anwesen zu betreten. Jetzt zwang sie sich dazu, jedes Zimmer zu besuchen und sich den Kadaver ihrer Welt anzusehen. Die schweren Möbel und einige Vorhänge waren noch da. Fast alles andere von Wert oder Nutzen war mitgenommen worden. Rache und sie hatten einige Küchengeräte und Bettzeug gerettet, aber all die schlichten Dinge, die das Leben einfacher machten, waren weg. Die Teller, mit denen sie den kahlen Holztisch deckten, passten nicht zusammen, und kein Linnen schützte sie vor der groben Wolle ihrer Decken.
Dennoch ging das Leben weiter. Als sie schon die Klinke der Küchentür in der Hand hielt, fiel ihr Blick auf ein kleines mit Wachs versiegeltes Töpfchen, das auf der Seite in einer Ecke lag. Sie hob es auf. Es tropfte ein bisschen. Ronica leckte sich die Finger ab. Kirschmarmelade. Sie lächelte und legte es in ihre Armbeuge. Diesen letzten Rest süßes Leben wollte sie mitnehmen.
»Edle Gefährtin!«
Serilla hob den Blick von der Landkarte, die sie betrachtet hatte. Der Dienstjunge an der Tür sah ehrerbietig auf seine Fußspitzen. »Ja?«, sprach sie ihn an.
»Da möchte eine Frau Euch sprechen.«
»Ich bin beschäftigt. Sie muss ein andermal wiederkommen.«
Sie war leicht verärgert über ihn. Er hätte wissen können, dass sie heute keine weiteren Besucher empfangen wollte. Es war schon spät, und sie hatte den ganzen Nachmittag in einem muffigen Raum voller Händler gesessen und versucht, sie zur Vernunft zu bringen. Sie stritten sogar noch über die offensichtlichsten Dinge. Einige bestanden darauf, dass man einen Beschluss des Konzils brauchte, bevor man ihre Autorität anerkannte. Händler Larfa hatte ziemlich deutlich vorgeschlagen, dass Bingtown Bingtowner Angelegenheiten ohne die Hilfe von Jamaillia regeln sollte. Es war höchst frustrierend. Sie hatte ihnen die Bevollmächtigung gezeigt, die der Satrap unterzeichnet hatte. Sie hatte das Dokument selbst aufgesetzt, deshalb wusste sie, dass es nicht zu widerlegen war. Warum konnten sie nicht endlich zugeben, dass sie die Autorität des Satrapen hinter sich hatte und dass die Bingtowner Untertanen des Satrapen waren?
Sie zog erneut die Landkarte von Bingtown zu Rate. Bis jetzt waren die Händler in der Lage gewesen, ihren Hafen offen zu halten, aber das ging auf Kosten ihres Handels. Unter diesen Umständen konnte die Stadt nicht lange überleben. Die Chalcedeaner wussten das sehr genau. Sie brauchten gar nicht mit Gewalt einzudringen und Bingtown direkt zu kontrollieren. Der Handel war die Lebensader von Bingtown, und die Chalcedeaner strangulierten die Stadt langsam, aber sicher.
Die halsstarrigen Händler wollten einfach das Offensichtliche nicht sehen. Bingtown war eine einzelne Siedlung an einer feindlichen Küste. Sie war niemals fähig gewesen, sich ganz allein zu versorgen. Wie sollte sie einem kriegerischen Land wie Chalced widerstehen? Sie hatte die Ratsvorsitzenden genau das gefragt. Sie antworteten, dass es ihnen schon vorher gelungen war und es ihnen auch wieder gelingen würde. Aber damals hatte Jamaillias Macht ihnen den Rücken gestärkt. Und sie hatten sich auch nicht mit den Neuen Händlern in ihrer Mitte auseinander setzen müssen, die eine Invasion der Chalcedeaner wahrscheinlich begrüßen würden. Viele Neue Händler unterhielten enge Beziehungen zu Chalced, weil sich dort der Hauptmarkt für die Sklaven befand, die sie durch Bingtown schleusten.
Sie dachte erneut über die Nachricht nach, die Roed Caern abgefangen und ihr gebracht hatte. In ihr wurde versprochen, dass sehr bald eine jamaillianische Flotte in See stechen und den Tod des Satrapen rächen würde. Allein bei dem Gedanken
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