Zaubersommer in Friday Harbor
hat sich so heftig in sie verliebt, dass er den Hund freiwillig genommen
hat.”
„Ich finde
das lieb von ihm.”
Sam sandte
einen Blick zum Himmel. „Mark ist ein Einfaltspinsel, dass er diesen Hund
genommen hat. Er kann keine Kunststücke. Bei einem flotten Spaziergang kann er
nicht mithalten. Seine Tierarztrechnungen sind etwa so hoch wie die
Staatsverschuldung, und er liegt im Haus grundsätzlich an den Stellen herum, an
denen man am ehesten über ihn fällt.” Aber während er das sagte, wuselte
er mit den Händen im Fell des Hundes herum und kraulte dem Tier den Nacken.
Renfield schloss die Augen und schnaufte glücklich. „Na komm, du Dummkopf. Wir
gehen hinten raus.” Sam griff nach dem Metallrohr, stand auf und sah Lucy
fragend an. „Kann ich dich allein lassen, während ich den Hund bade?”
Mühsam
löste sie ihren Blick von seinem halb bekleideten Körper und wandte sich ihrem
E-Book-Reader zu. „Ja, ich habe alles, was ich brauche.”
„Was liest
du da?”
„Eine
Biografie von Thomas Jefferson.”
„Ich mag
Jefferson. Er war ein großer Förderer des Weinanbaus.”
„Hatte er
einen Weinberg?”
„Ja, auf
Monticello. Aber er experimentierte mehr herum, als ernstlich Wein anzubauen.
Er versuchte, europäische Weine anzubauen – Vitis vinifera –, eine Sorte, die
in Ländern wie Frankreich oder Italien fantastische Weine lieferte. Aber sie
kam nicht mit dem Klima, den Krankheiten und den Schädlingen der Neuen Welt
zurecht.”
Ganz
offensichtlich war Sam ein Mann, der liebte, was er tat. Um ihn wirklich zu
verstehen, dachte Lucy, müsste man sich mit seiner Arbeit auseinandersetzen, in
Erfahrung bringen, warum sie ihm so viel bedeutete und mit welchen Herausforderungen
er zu kämpfen hatte. „Ich wünschte, ich könnte mit dir durch deinen Weinberg
gehen”, sagte sie wehmütig. „Von hier sieht er wunderschön aus.”
„Morgen
nehme ich dich mit nach draußen und zeige dir etwas Besonderes.”
„Was?”
„Einen
geheimnisvollen Weinstock.”
Lucy
musterte ihn verwirrt lächelnd. „Was macht diesen Weinstock so
geheimnisvoll?”
„Ich habe
ihn vor ein paar Jahren auf meinem Grundstück entdeckt. Er wuchs an einer
Stelle, an der eine Straße gebaut werden
sollte. Einen so großen und alten Weinstock umzupflanzen
ist eine schwierige Angelegenheit. Also habe ich Kevin gebeten, mir dabei zu
helfen. Wir haben eine Ballenstechmaschine benutzt, um so viel wie möglich vom
Wurzelstock zu erhalten, und ihn in den Weinberg umgesetzt. Er hat überlebt,
aber ich arbeite noch daran, ihn zum Gedeihen zu bringen.”
„Was für
Trauben produziert er?”
„Das ist
die Frage. Ich habe jemanden von der Washington State University darauf
angesetzt, die Sorte zu identifizieren, aber
bisher ist das noch nicht gelungen. Wir haben Proben und Fotos an eine Reihe
von Rebenkundlern in Washington und Kalifornien geschickt. Die Sorte ist
nirgends verzeichnet. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um eine wilde
Hybride, die durch natürliche Fremdbestäubung entstanden ist.”
„Ist das
was Seltenes?”
„Etwas sehr
Seltenes.”
„Glaubst
du, dass er gute Trauben produziert?”
„Vermutlich
nicht”, sagte er und lachte.
„Warum
gibst du dir dann so viel Mühe damit?”
„Weil man
nie wissen kann. Die Trauben weisen vielleicht Eigenschaften auf, die man nie
vermutet hätte. Etwas, das diese Lage vollkommener repräsentiert als alles, was
man hätte planen können. Man muss ...”
Er zögerte,
suchte nach den richtigen Worten, und Lucy vollendete den Satz leise für ihn:
„Man muss einfach Vertrauen wagen.”
Sam warf
ihr einen zurückhaltenden Blick zu. „Ja.”
Lucy
verstand nur zu gut. Manchmal musste man ein Risiko eingehen, das in einem Fehlschlag
enden konnte. Denn sonst würde man ewig bereuen, es nicht getan, diesen Weg
nicht eingeschlagen, diese Erfahrung nicht gemacht zu haben.
Nachdem Sam Renfield versorgt hatte,
arbeitete er etwa eine Stunde im Weinberg und schaute dann nach Lucy. Sie war
auf dem Sofa eingeschlafen. Er stand in der Tür und ließ seinen Blick
langsam über ihren Körper gleiten. Sie hatte etwas Außergewöhnliches an sich,
wirkte zart, beinah mythisch. Wie eine Figur aus einem Gemälde ... eine
träumende Antiope oder Ophelia. Ihre dunklen Haare fielen wie Schmuckbänder
über den blassgrünen Samt, ihre Haut war so hell wie eine nachtblühende Lilie.
In den zum Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen schwebten Staubteilchen wie
ein Sternbild über
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