Zaubersommer in Friday Harbor
Das
Gebäckstück war dicht und kuchenähnlich. Er aß es langsam, genoss es mit allen Sinnen. Zum
ersten Mal seit Monaten war er in der Lage, etwas zu schmecken, ein Aroma
wirklich zu erleben.
Bissen für
Bissen genoss er den Muffin, während ihn Erleichterung überkam. Die tiefen
Furchen, von der ewigen Anspannung in sein Gesicht gegraben, wurden milder. Er
hätte bei seinem Leben schwören können, dass Zoë etwas in die Muffins getan
hatte. Etwas Illegales. Aber es war ihm völlig egal. Er gewann daraus ein
sauberes gutes Gefühl ... als wenn er sich nach einem harten Tag in ein warmes
Vollbad gleiten ließe. Seine Hände zitterten nicht mehr.
Eine Minute
lang saß er still, ließ die ungewohnte Stimmung auf sich wirken, spürte, dass
sie wenigstens eine Zeit lang anhalten würde. Dann ging er zurück ins Haus,
nahm seinen Werkzeugkasten und schlich sich katzengleich die Treppe zum
Dachboden hinauf. Es war ihm wichtig, dieses gute Gefühl zu bewahren, und er
war entschlossen, sich von nichts und niemandem stören zu lassen.
Auf dem Weg
nach oben kam er an Sam vorbei, der eine schlanke junge Frau mit großen grünen
Augen trug. Sie war in einen Morgenmantel gehüllt, und eins ihrer Beine steckte
in einer unförmigen Schiene. „Alex”, sagte Sam, ohne stehen zu bleiben,
„das ist Lucy.”
„Hi”,
murmelte Alex und ging, ebenfalls ohne anzuhalten, weiter die Treppen hinauf
zum Dachboden.
„Fühlst du
dich wohl hier?”, fragte Zoë, nachdem Sam sie und Lucy allein gelassen
hatte, damit sie ungestört reden konnten.
Lucy
lächelte. „Ja, wirklich. Wie du sehen kannst ...” Sie deutete auf das
riesige grüne Samtsofa, die Kühlkompressen, die Sam um ihr Bein angeordnet
hatte, die cremefarbene Decke, die er ihr über den Schoß gelegt und das Glas
Wasser, das er ihr hingestellt hatte. „Ich werde hier sehr gut versorgt.”
„Sam
scheint nett zu sein”, meinte Zoë, und ihre blauen Augen funkelten.
„Genauso nett, wie Justine behauptet hat. Ich glaube, er mag dich.”
„Sam mag
Frauen”, gab Lucy spöttisch zurück. „Und ja, er ist ein toller Kerl.” Sie
schwieg einen Moment und fügte dann ein wenig schüchtern hinzu: „Du solltest
mit ihm ausgehen.”
„Ich?”
Zoë schüttelte den Kopf und musterte sie fragend. „Da läuft doch was zwischen
euch.”
„Nein, tut
es nicht. Und wird es auch nicht. Sam ist sehr ehrlich, Zoë, und er hat mir
klipp und klar gesagt, dass er sich niemals auf Dauer an eine Frau binden
wird. Und auch wenn es mich reizen könnte, mich einfach mal gehen zu lassen und
meinen Spaß mit ihm zu haben ...” Lucy zögerte und senkte die Stimme zu
einem Flüstern. „Er ist der schlimmste Herzensbrecher, den man sich vorstellen
kann, Zoë. Der Typ, der so verlockend ist, dass du versuchst, dir einzureden,
du könntest ihn ändern. Und nach allem, was ich durchgemacht habe ... Ich bin
nicht stark genug, so bald schon wieder verletzt zu werden.”
„Ich
verstehe.” Zoë
Lächeln war warm und mitfühlend. „Ich glaube, das ist sehr weise von dir, Lucy.
Manchmal tut man sich selbst den größten Gefallen, wenn man etwas aufgibt, was
man haben möchte.”
Kapitel 15
achdem Zoë wieder fort war, entspannte Lucy sich auf
dem Sofa mit ihrem Handy und einem E-Book-Reader.
Sam hatte frische Kältekompressen um ihr Bein gelegt und ihr ein Glas kaltes
Wasser hingestellt, bevor er nach draußen ging, um die Arbeit des Tages mit seinen
Leuten zu besprechen. Zurzeit waren sie damit beschäftigt, Blätter zu
entfernen, damit die reifenden Weinbeeren besser von der Sonne beschienen
werden konnten, und den Boden von Hand mit Spaten umzugraben.
„Ich werde
etwa eine Stunde da draußen sein”, kündigte er an. „Mein Handy ist
eingeschaltet. Ruf an, wenn du was brauchst.”
„Das wird
nicht nötig sein.” Sie schnitt eine Grimasse und fügte hinzu: „Ich muss
meine Mutter anrufen und ihr sagen, was passiert ist. Vermutlich werde ich
meine ganze Überredungskunst aufbieten müssen, um sie davon abzuhalten, sich
ins nächste Flugzeug zu setzen und herzukommen, um persönlich nach mir zu
sehen.”
„Sie ist
herzlich eingeladen.”
„Danke, das
ist nett von dir. Aber ich kann es im Moment gar nicht gebrauchen, dass meine
Mutter mich begluckt.”
„Das
Angebot steht trotzdem.” Sam trat ans Sofa heran und beugte sich zu
Renfield hinunter, der neben Lucy hockte. „Du passt gut auf sie auf”,
sagte er zu der Bulldogge, die ihn mit großem Ernst betrachtete.
„Dieser
Hund
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