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Zeit der Geheimnisse

Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Nicholls
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und renne den Hügel hinunter bis zur Schule.
    Ich kann mich nicht erinnern, wann Hannah und ich das letzte Mal so viel zusammen gelacht haben.
     
    In der Schule halte ich den ganzen Tag Ausschau nach Anzeichen dafür, dass er da war. Sehe nach, ob irgendwo Blumen blühen, wo gestern noch keine waren, ob Grasspitzen aus dem Boden kommen oder frische Blätter an den Bäumen sprießen. Aber da ist nichts.
    Sobald ich wieder zu Hause bin, gehe ich in den Garten. Ich suche nach ihm in sämtlichen Verstecken, selbst den dümmsten, wo er unmöglich sein kann.
    Ich kann ihn nicht finden.
    Im Nachbarhaus streckt irgendwann Jack den Kopf zum Fenster heraus.
    »Was verloren?«, ruft er.
    »Hast du einen Jungen gesehen?«, rufe ich zurück. »So groß wie ich, ohne Kleider?«
    Jack lacht.
    »Oho«, sagt er. »Und wer sollte das sein? Alexander? Oder einer von den Haltwhistles?«
    »Die doch nicht«, sage ich. »Ein ganz besonderer. Er hat was mit Magie zu tun, glaube ich.«
    »Verstehe«, sagt Jack. »Also, wenn ich irgendwelche magischen Jungs ohne Kleider hier sehe, geb ich dir Bescheid.«
     
    Ich gehe wieder zur Scheune, aber sie sieht nicht anders aus als den ganzen Winter über.
    Leer.
    »Hallo?«, rufe ich. »Junge? Ich bin’s – Molly.«
    Ich habe keine Ahnung, ob er sich an mich erinnern kann oder nicht. Schließlich ist er jetzt eine völlig andere Person.
    Aber egal.
    Er ist sowieso nicht hier.
    Ich setze mich auf einen Zementsack und überlege, wo ich sonst noch nach ihm suchen könnte. Er könnte überall sein. Wenn es ihn überhaupt wirklich gibt. Vielleicht habe ich ja doch geträumt.
    Dann schaue ich auf und sehe es.
    Seine Eiche.
    Ich spüre, wie das Glück wieder in mir hochblubbert. Ich gehe hinüber, um den Baum zu berühren, den ich für tot hielt. Ich strecke die Hand aus und berühre die grüne Stelle an der Borke, wo sich durch das alte Holz hindurch das neue zeigt.
     

51 - Kopfüber kopfunter
    Ich bin so zappelig vor lauter Aufregung, dass ich noch nicht nach Hause gehen kann.
    Stattdessen gehe ich in den Wald am Dorfrand, dort, wo die Jugendherberge ist. Ein richtiger Wald ist das nicht, nicht so wie der Verbotene Wald oder der Wald mit der Laterne in Narnia. Nicht die Art, von der man sich vorstellen könnte, dass ein Gott sich dort versteckt. Er ist voll von abgestorbenem Holz und Efeu und Brennnesseln und sumpfigen Stellen, und kaum ist man zehn Minuten in eine Richtung gelaufen, steht man auch schon wieder am Waldrand.
    Aber mir fällt sonst nichts ein, wo er sein könnte.
    »Junge?« Und noch einmal ganz leise: »Junge?«
    Und da ist er.
    Er hängt kopfüber in einem Baum. Irgendwoher hat er auf einmal eine Hose, eine braune, laubbesetzte Peter-Pan-Hose. Vielleicht hat er sie sich einfach gezaubert. Auf dem Kopf trägt er einen Kranz aus Efeu, trotzdem sieht er nicht wie ein Mädchen aus.
    Die Blätter sind ganz zerdrückt von seinen Haaren. Ich erinnere mich nicht, schon mal so wildes Haar gesehen zu haben, dicke Locken stehen in alle Richtungen ab.
    »Das ist ja toll hier«, sagt er.
    Er ist ganz genauso groß wie ich. Ich glaube, seine Augen haben immer noch dieselbe Farbe, aber gleichzeitig sind sie anders. Die Augen des Grünen Mannes waren ganz sanft – die des Jungen sehen eher aus wie die von Josh, wenn er wegen irgendwas ganz aufgeregt ist.
    »Erinnerst du dich an mich?«, frage ich ihn.
    Der Junge kneift die Augen zusammen.
    »Natürlich«, sagt er. »Heute Nacht, das warst du, richtig? Du hast dich versteckt, aber ich habe dich gesehen – daher kenne ich dich.«
    Ich beiße mir auf die Lippe. Ich bin mir absolut nicht sicher, ob ich das als Erinnerung gelten lassen soll.
    »Woher kommst du?«
    »Von irgendwo«, sagt er. »Von irgendwo, wo du noch nie gewesen bist.«
    »Du warst – « Ich zögere, weil ich nicht weiß, wie ich das höflich ausdrücken soll. »Erinnerst du dich, was passiert ist? An Weihnachten?«
    »Natürlich«, sagt er. Aber er sieht verunsichert aus. »Wieso stellst du mir all diese Fragen? Wer bist du überhaupt?«
    »Ich bin Molly. Molly Brooke.«
    Immer noch sieht er verwirrt aus.
    »Du siehst aus wie die Leute, die in Häusern wohnen. Aber so jemand bist du nicht, stimmt’s?«
    »Doch«, sage ich. »Aber ich bin auch deine Freundin.«
    »Jeder ist mein Freund.« Er lacht mich an, von unten herauf. »Sieh hier – « Er streckt eine Hand aus, und ein grüner Spross rollt sich zwischen seinen Fingern aus, windet sich um seine Hand und den Arm hinauf.

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