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Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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leisen verärgerten Ton aus und stapft los in Richtung Tor. Ich renne ihr nach.
    »Wie geht das auf?«
    »Man klettert drüber. Hannah – die Bäume – «
    »Au! Da liegt ja Schnee drauf. Ich seh überhaupt nichts.«
    Hinter mir höre ich ein Geräusch, das wie ein Lachen klingt.
    »Hannah – «
    »Jetzt komm schon.«
    Das Tor ist schon schneebedeckt und darunter vereist. Ich rutsche ab und lande auf der anderen Seite auf gefrorenem Schlamm. Es tut weh.
    Hannah ist schon vorausgelaufen, eine dunkle Gestalt hinter dem Schein einer Taschenlampe.
    »Was ist das?« Hannah klingt ängstlich. Hannah hat nie Angst.
    »Was?«
    »Da – da ist irgendwas.«
    »Das ist sein Haus. Weißt du nicht mehr?«
    Es ist sehr dunkel in der Scheune. Schnee bedeckt den Boden und die schwarze Gestalt des Baums und die Säcke in der Ecke.
    Niemand ist da.
    »Zufrieden?«, fragt Hannah. »Können wir jetzt gehen?«
    Schnee rutscht vom Dach und landet auf meinem Rücken.
    »Hallo«, flüstere ich.
    Niemand antwortet.
    »Der ist bestimmt auf einer Party mit den Feen«, sagt Hannah. »Und jetzt komm.«
    Ich gehe ganz hinten in die Scheune. Da ist es pechschwarz. Ich stoße gegen etwas, das am Boden liegt.
    »Moll?«
    Ich knie mich hin. Er liegt auf dem Rücken. Seine Beine und sein Bauch sind voller Schnee. Die Augen hält er geschlossen. Er zittert so sehr, dass ich wirklich seine Zähne klappern höre.
    Ich berühre seinen Arm. Er ist eiskalt.
    »Hannah«, sage ich leise.
    Und dann sieht sie ihn.
    Erst sagt sie gar nichts, eine ganze Weile lang. Dann rastet sie aus.
    »Was für ein dummes, dummes kleines Mädchen du bist!«
    Ich starre sie an.
    »Wieso hast du keinem Menschen erzählt, dass er hier ist? Er hätte sterben können! Wieso hast du nicht den Rettungswagen gerufen oder so?«
    »Hab ich doch! Ich hab’s dir erzählt! Und Dad und Grandpa – «
    »Aber du hast uns nicht gesagt, dass er echt ist.«
    Sie rennt aus der Scheune. Ich renne ihr nach.
    »Wo willst du hin?«
    »Was glaubst du wohl?«
    »Lass mich nicht alleine hier!«
    »Glaubst du vielleicht, es interessiert mich, was du machst?«, sagt Hannah.
    Sie rennt geradeaus durch den Schnee und über das gefrorene Gras. Ich folge ihr, so gut ich kann.
     
    Alle sitzen in der Küche, als wir zur Tür hereinstürmen.
    »Da ist ein Mann im Schnee«, sagt Hannah.
    Opa steht halb auf. »Im Schnee? Ist er verletzt?«
    »Ich weiß es nicht«, sagt Hannah. Seit wir im Haus sind, ist sie nicht mehr böse. Sie fängt an zu zittern.
    »Er lebt«, sage ich. Ich laufe zu Dad hinüber und ziehe ihn an der Hand. »Wir müssen ihn retten gehen.«
    »Wo ist er?«, fragt Grandma. »Jetzt mal langsam, Molly. Erzähl uns alles der Reihe nach.«
    »Sollen wir den Rettungswagen rufen?«, fragt Dad.
    »Habt ihr die Taschenlampe noch, Mädchen?«, fragt Opa.
    »Es ist Mollys komischer Mann«, sagt Hannah.
    Alle hören auf zu reden.
    »Mollys komischer Mann?«, fragt Grandma.
    »Er war schon die ganze Zeit da«, sagt Hannah.
    »Molly? Hast du mit einem lebendigen Menschen gesprochen?«
    »Natürlich«, sage ich. »Ich hab’s euch doch erzählt.«
    »Moment mal«, sagt Dad. »Von was oder wem redest du da? Von dem unsichtbaren Mann, der Blumen wachsen lässt? Den Mann gibt es wirklich? Du hast dich mit einem echten Mann getroffen, im Wald?« Er sieht Grandma an. »Und das habt ihr erlaubt?«
    Ich zerre an seiner Hand. Auf einmal ist Dad wieder zuständig für uns, das spüre ich, aber ich habe jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken, was das bedeutet. Denn noch etwas anderes hat sich verändert. Bisher konnte niemand ihn sehen. Wieso dann jetzt auf einmal?
    »Macht schnell«, sage ich. »Kommt und seht selber.«

 
     
    Gewitter
     
     
    Wir gehen zusammen, Grandpa und Dad und Hannah und ich.
    Inzwischen ist es noch dunkler geworden. Der Schnee fällt dichter und es weht ein Wind.
    Dad und Grandpa wollten nicht, dass ich mitkomme, aber ich wollte nicht zu Hause bleiben. Irgendetwas hat Dad aus seiner üblichen Nicht-streiten-nicht-reden-Haltung gerissen. Er ist so wütend geworden, wie ich ihn noch nie erlebt hatte.
    »Du darfst nicht mit Fremden reden«, hat er gesagt. » Niemals . Ist das so schwer zu verstehen?«
    »Aber er ist kein Fremder!«, habe ich gesagt. »Wir sind Freunde.«
    »Nein!«, hat Dad gesagt und mit der flachen Hand auf den Tisch gehauen. »Du lieber Himmel, Molly, weißt du denn nicht, wie wichtig das ist?«
    Da habe ich angefangen zu weinen.
    »Na, na, Toby«, hat Grandpa

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