Zeit der Geheimnisse
gesagt und Dad eine Hand auf den Arm gelegt. »Jetzt wart erst mal ab, ja? Bis wir nachgesehen haben.«
Aber Dad hat seinen Arm weggezogen.
» Du hast überhaupt kein Recht, dich hier einzumischen«, hat er zu Grandpa gesagt. »Überhaupt keins! Was ich von dir halte, das spar ich mir für später auf.«
Als ich erst einmal angefangen hatte zu weinen, konnte ich nicht mehr aufhören.
»Er ist krank!«, habe ich gesagt. Ich mochte Dad nicht ansehen. »Er ist krank und stirbt vielleicht, und ihr, was macht ihr? Ihr zankt euch bloß.«
Und so gehen wir jetzt durch den Schnee.
Die Bäume machen Geräusche, die nach Stimmen klingen.
Schneller, schneller, oder es ist zu spät!
Vor lauter Angst bekomme ich kaum Luft.
Schneller! , sagen die Bäume. Schneller!
Ich habe so ein Gefühl in mir, ganz stark, dass irgendetwas nicht stimmt. Irgendetwas ist sehr merkwürdig heute Nacht. Die Welt scheint irgendwie aus den Fugen geraten. Ihre Ränder bewegen sich. Wenn wir nicht ganz bald da sind, passiert etwas Schreckliches.
Schneller! , sagen die Bäume.
Dad und Grandpa hantieren hektisch mit dem Tor herum, dann macht Grandpa es auf. Komisch – die ganze Zeit bin ich drübergeklettert, dabei ging es doch aufzumachen.
Ich renne über die Wiese.
»Hey, Moll – «, ruft Grandpa, aber ich kann jetzt nicht mehr stehen bleiben. Ich stolpere über den Schnee zur Scheune.
Gleich!
Es kracht. Ein Donner. Ein Blitz zerreißt den Himmel in zwei Teile. Das Gewitter ist direkt über uns.
Ich stürme zum Scheunentor hinein. Wieder blitzt es, und einen Moment lang sehe ich ein Bild vor mir – zwei Männer, einer steht da, groß und mit Hörnern, der andere liegt mit dem Gesicht nach unten am Boden. Der, der steht, reckt die Faust. Es wirkt so unnatürlich, wie er so reglos dasteht, und genauso unnatürlich liegt der andere da. Aber schon ist der Blitz vorbei und die Scheune leer, bis auf den dröhnenden Donner, der uns umgibt.
Ich weiß ohne den allerkleinsten Zweifel, dass mein Grüner Mann nicht mehr hier ist.
Schrecken breitet sich in mir aus.
Und dann bricht der Sturm richtig los.
Schneesturm
Ich bin umgeben von wirbelndem Schnee. Über mir und unter mir und um mich herum ist Schnee. Wie Nebel.
Zu hoch, du schaffst es nicht darüber weg.
»Mann!«, brülle ich. »Mann! Ich bin’s! Molly!«
Da sind Stimmen im Wind, Gestalten. Schwarze Gestalten, die hoch über mir aufragen und dann ins Nichts davonschweben. Wesen mit Flügeln und Augen.
Zu tief, du schaffst es nicht darunter weg!
»Mann!«
Zu weit, du schaffst es nicht außen herum!
»Komm zurück!«
Ich weiß, wo er ist.
»Bitte!«
Ich bin zu spät gekommen.
Er ist tot.
Es ist meine Schuld.
Zitternd stehe ich da und weine. Um mich herum sind lauter dunkle Gestalten, sie lachen im Wind. Es ist der gehörnte Gott, der Stechpalmenkönig oder noch Schlimmeres. Das, wovon Miss Shelley erzählt hat, das, was kommt, wenn die Grenzen zwischen den Welten schwächer sind. Geister und Dämonen und Untiere mit langen Beinen und irgendwelche Wesen, die durch die Nacht poltern.
Jetzt sind da andere Stimmen. Sie rufen.
»Molly! Molly!«
Ich reiße mich los von all dem, was nach mir greift und an meinen Haaren zerrt. Ich stolpere vorwärts, aber jetzt will sich etwas anderes um meine Finger schlingen. Es sind Zweige. Baumhände. Äste beugen sich herunter und halten mich fest.
»Moll! Wo bist du?«
Die Arme der Bäume halten mich, wiegen mich. Dunkle Hände greifen nach mir und berühren mein Gesicht. Ich bewege mich nicht. Ich atme kaum. Es gibt keinen Schnee mehr und keine Kälte. Hier und jetzt bin ich in Sicherheit, nichts und niemand kann mir etwas.
»Da bist du ja!«
Plötzlich sind die Baum-Arme weg. Ich falle und lande vornüber im Schnee. Ich kann nicht aufhören zu weinen.
»Molly, Liebes, was ist passiert?«
Das ist Dad. Groß und dunkel und voller Angst.
Vor lauter Weinen kann ich ihn kaum sehen.
»Mum!«, schreie ich. »Ich will Mummy!«
»Moll, Molly, Liebes – «
Er legt beide Arme um mich. Ich winde mich los.
»Ich will meine Mum!«
»Molly-Mop – «
Ich lehne mich weit zurück, so weit es geht. Ich schreie und trete um mich.
»Nein! Ich will Mummy. Ich will Mummy!«
Er hebt mich hoch und trägt mich durch die Nacht.
Das Ende der Welt
Es ist mitten in der Nacht. Die Polizisten sind gegangen. Sie haben nichts gefunden, nicht einmal Fußspuren im dicht fallenden Schnee. Ich hatte es Grandma
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