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Zeit der Gespenster

Zeit der Gespenster

Titel: Zeit der Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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XP-Patienten. Schließlich wird die Zellteilung beeinträchtigt, was Krebs auslöst. Ethan, so sagten sie, könnte vielleicht ein wenig älter als zehn Jahre werden.
    Doch Shelby überlegte sich, dass sie, wenn das Sonnenlicht ihren Sohn töten würde, einfach nur dafür sorgen musste, dass es immerzu dunkel war. Sie blieb tagsüber im Haus. Sie las Ethan bei Kerzenlicht Geschichten vor. Sie verhängte die Fenster des Hauses mit Handtüchern und Vorhängen, die ihr Ehemann jeden Abend, wenn er von der Arbeit kam, wieder herunterriss. »Verdammt, kein Mensch ist allergisch gegen die Sonne«, hatte er gesagt.
    Als ihre Scheidung durch war, hatte Shelby sich inzwischen gründlich über Licht informiert. Sie wusste, dass nicht nur die Außenwelt Gefahren barg. Supermärkte und Arztpraxen hatten Neonlampen, die ultraviolette Strahlung abgaben. Sonnenmilch wurde so alltäglich wie Handcreme, sowohl im Haus als auch draußen. Ethan hatte zweiundzwanzig Mützen, und er setzte sie mit der gleichen beiläufigen Routine auf, wie andere Kinder sich ihre Unterwäsche anzogen.
    Shelby räumte die Küche auf und setzte sich dann mit einem Buch an den Rand der Einfahrt. Ihr langes, dunkles Haar war in einem faustdicken Zopf gebändigt, und ihr war noch immer warm – wie um alles in der Welt konnte Ethan so herumtoben? Er sauste mit seinem Skateboard eine selbst gemachte Holzrampe hinauf und machte einen Kickflip. »Mom! Mom? Hast du das gesehen? Genau wie Tony Hawk.«
    »Weiß ich doch«, bestätigte Shelby.
    »Findest du nicht, es wäre super, wenn wir …«
    »Wir werden uns keine Halfpipe hier in der Einfahrt bauen, Ethan.«
    »Aber … dann eben nicht. Mir doch egal.« Und schon war er mit donnernden Rädern verschwunden.
    Shelby schmunzelte. Sie liebte die leise Großspurigkeit, die sich allmählich in Ethans Persönlichkeit schlich, als legte ein Puppenspieler ihm gelegentlich Worte in den Mund. Sie liebte es, wenn er heimlich Late Night mit Conan O’Brien guckte, weil er glaubte, sie würde es nicht merken, und versuchte, aus den vielen Zweideutigkeiten schlau zu werden. Es machte ihn … so normal. Wäre da nicht der Mond am Himmel und wäre Ethans Gesicht nicht so blass, dass die Venen unter seiner Haut leuchteten wie Straßen, die sie in- und auswendig kannte – wären da all diese Kleinigkeiten nicht, dann könnte Shelby fast glauben, dass ihre Welt genauso wie die vieler anderer alleinerziehender Mütter war.
    Ethan vollführte einen Shifty Pivot, dann einen Casper-Bigspin. Es hatte eine Zeit gegeben, sinnierte Shelby, da hätte sie einen Helipop nicht von einem G-Turn unterscheiden können. Es hatte auch eine Zeit gegeben, in der Shelby für sich selbst und für Ethan Mitleid empfunden hatte. Doch Shelby konnte sich kaum noch daran erinnern, wie ihr Leben gewesen war, bevor seine Krankheit über sie geschleudert wurde wie ein Fischernetz. Und ehrlich gesagt, jedes Leben, das sie vor Ethan gehabt hatte, konnte eigentlich kein berauschendes Leben gewesen sein.
    Er machte vor ihr eine Vollbremsung. »Ich hab einen Mordshunger.«
    »Du hast doch gerade erst gegessen!«
    Ethan blinzelte sie an, Shelby seufzte. »Meinetwegen, dann geh rein und iss eine Kleinigkeit, aber es wird schon rosa.«
    Ethan blickte in Richtung Sonnenaufgang, eine Klaue, die sich am Horizont festgekrallt hatte. »Lass mich von hier draußen zusehen«, bettelte er. »Nur einmal.«
    »Ethan …«
    »Ich weiß ja.« Seine Stimme senkte sich am Ende. »Noch drei Hardflips.«
    »Einen.«
    »Zwei.« Ohne auf ihre Antwort zu warten, sauste Ethan wieder davon. Shelby klappte ihren Roman auf, nahm die Worte wahr wie Autos auf einem Frachtzug – ein Strom ohne individuelle Merkmale. Sie hatte gerade die Seite umgeblättert, als sie merkte, dass Ethans Skateboard nicht mehr in Bewegung war.
    Er hatte es sich gegen ein Bein gelehnt, das Emblem vom Superhelden Wolverine war weiß getüpfelt. »Mom?«, fragte er. »Schneit es?«
    Das kam ziemlich oft vor in Vermont. Aber nicht im August. Eine weiße Flocke landete auf dem Buch. Aber es war keine Schneeflocke. Sie hob das Blütenblatt an die Nase und schnupperte. Rosen.
    Shelby hatte von eigenartigen Wetterphänomenen gehört, die Frösche dazu brachten, massenhaft Richtung Meer zu wandern; einmal hatte sie einen regelrechten Hagelschauer aus Heuschrecken erlebt. Aber das?
    Die Blütenblätter fielen weiter, verfingen sich in ihrem und Ethans Haar. »Verrückt«, flüsterte er und setzte sich neben Shelby, um

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