Zeit der Gespenster
Touristen nur eine Illusion sahen.
Er fuhr die Cemetery Road hinunter. In Nächten wie dieser, wenn der Mond kugelrund und gelb wie ein Habichtsauge aussah, lag der Friedhof immer auf seiner Route. Obwohl die Fenster heruntergekurbelt waren, wehte kaum ein Lüftchen, und Elis kurz geschnittenes schwarzes Haar war im Nacken feucht. Sogar Watson, sein Bluthund, hechelte auf dem Beifahrersitz.
Alte Grabsteine standen geneigt, wie müde Fußsoldaten. In der linken Ecke des Friedhofs, nahe der Buche, befand sich Comtosooks ältester Grabstein. WINNIE SPARKS, stand darauf. GEBOREN 1835. GESTORBEN 1901. GESTORBEN 1911. Der Legende nach war der Leichenzug der reizbaren alten Frau auf dem Weg zum Friedhof gewesen, als die Pferde scheuten und ihr Sarg vom Wagen fiel. Der Deckel sprang auf, und eine fuchsteufelswilde Winnie kletterte heraus. Zehn Jahre später starb sie – erneut –, und ihr schwer geprüfter Gatte hämmerte den Deckel vorsichtshalber mit 150 Nägeln zu, aus reiner Vorsicht.
Ob die Geschichte wahr war oder nicht, interessierte Eli herzlich wenig. Doch die Jugendlichen aus dem Ort sahen anscheinend in Winnies Unwillen, tot zu bleiben, Anlass genug, um mit Sixpacks Bier und Haschisch zu ihrem Grab zu ziehen. Eli faltete seinen langen Körper aus dem Pick-up. »Kommst du?«, sagte er zu dem Hund, der sich stattdessen auf dem Sitz niederließ. Kopfschüttelnd lief Eli über den Friedhof, bis er Winnies Grab erreichte, wo vier Jugendliche, die so bekifft waren, dass sie ihn nicht hatten kommen hören, um die blaufingerige Flamme einer Brennpastenschale herumsaßen.
»Buh«, sagte Eli ausdruckslos.
»Die Bullen!«
»Scheiße!« Man hörte Turnschuhe huschen und Flaschen klimpern, als die Jugendlichen hastig die Flucht ergriffen. Eli beschloss, sie laufen zu lassen. Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe zuerst auf die letzte davoneilende Gestalt, dann auf den Boden. Außer einer dünnen, süßlich riechenden Rauchwolke hatten sie zwei Flaschen Bier, Marke Rolling Rock, zurückgelassen, die Eli sich nach Dienstschluss genehmigen würde.
Er bückte sich und zupfte einen Löwenzahn von Winnies Grabstein. Ein Wort kam ihm in den Sinn, als hätte die Bewegung es gelöst: chibaiak … Geister. Die Sprache seiner Großmutter, die auf Elis Zunge brannte wie Pfefferminz. »Gibt es nicht«, sagte er laut und ging zurück zum Wagen, um zu sehen, was die Nacht noch alles für ihn bereithielt.
Shelby Wakeman war nach einem durchschlafenen Tag erschöpft aufgewacht. Sie hatte wieder diesen Traum gehabt, in dem Ethan auf einem Flughafen neben ihr stand, doch wenn sie sich ihm zuwandte, war er verschwunden. Verzweifelt hetzte sie dann von Terminal zu Terminal, um ihn zu suchen, bis sie schließlich durch eine Tür hinaus auf das Rollfeld lief und sah, wie ihr Neunjähriger mitten auf der Landebahn einer heranrasenden Düsenmaschine stand.
Der Traum versetzte Shelby in Panik, egal, wie oft sie sich sagte, dass all das nie passieren würde, und die größte Angst bereitete ihr der Anblick ihres Sohnes, wie er mit ausgestreckten Armen dastand, sein Buttermilchgesicht der Sonne entgegengehoben.
»Erde an Mom … Hallo?«
»Tschuldigung.« Shelby lächelte. »Ich war ganz in Gedanken.«
Ethan stellte seinen Teller in die Spülmaschine. »Meinst du, man kann auch im Schlaf in Gedanken versinken, wenn Nacht ist?« Bevor sie antworten konnte, schnappte er sich sein Skateboard, ohne das er nicht mehr vor die Tür ging. »Kommst du gleich raus?«
Sie nickte und sah Ethan nach, wie er nach draußen stürmte. Sie hatte ihm schon so oft gesagt, er solle leise sein – um vier Uhr morgens schliefen die meisten Menschen und tobten nicht auf Skateboards herum –, aber meistens vergaß er es, und meistens brachte Shelby es nicht über sich, ihn daran zu erinnern.
Ethan litt unter XP, Xeroderma Pigmentosum, einer sehr seltenen Erbkrankheit, durch die er extrem empfindlich auf die ultravioletten Strahlen des Sonnenlichts reagierte. Auf der ganzen Welt gab es nur tausend bekannte Fälle von XP. Wenn man die Krankheit hatte, hatte man sie von Geburt an, und sie war unheilbar.
Als Ethan sechs Wochen alt war, hatte Shelby bereits bemerkt, dass etwas nicht stimmte, aber es verging noch ein Jahr mit zahlreichen Untersuchungen, bis XP diagnostiziert wurde. Ultraviolettes Licht, so hatten die Ärzte erklärt, schädigt die menschliche DNA. Bei den meisten Leuten wird dieser Schaden automatisch repariert … nicht jedoch bei
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