Zeit der Hingabe
Mittagsschlaf im Salon zu halten.
Nachdem Miranda sich zum Ausgehen umgezogen hatte und die Pferde angespannt waren, hörte sie leises Schnarchen aus dem Salon. Louisa hatte einen gesegneten Schlaf und würde wahrscheinlich nicht einmal merken, wenn das Haus einstürzte, dachte Miranda lächelnd.
Zu den größten Vergnügungen ihres neuen ungebundenen Lebens gehörten eine eigene Kutsche und zwei elegante Zugpferde. Ihr Traum war ein zweisitziger hoher sportlicher Phaeton, den sie sich aus Rücksicht auf ihre Familie bisher versagt hatte.
Sie hatte ihren heimlichen Wunsch nie erwähnt. Benedick hätte ihr umgehend den schönsten, mit allen Raffinessen ausgestatteten Wagen geschenkt, mit dem sie großes Aufsehen bei ihren Ausfahrten im Park erregt hätte. Aber sie wollte ihre Familie nicht noch mehr ins Gerede bringen. Es schmerzte sie mehr, dass ihre Familie unter ihrem Bannfluch zu leiden hatte, als sie sich selbst daran störte.
Sie genoss die Fahrt durch den Hyde Park und brachte das Gespann in einen flotten Trab. Der feuchte kühle Wind blies ihr ins Gesicht, färbte ihre Wangen rosig, ganz entgegen der vornehmen Blässe, wie die Mode vorschrieb, was Miranda nicht im Geringsten störte. Vielleicht sollte sie ein paar Wochen auf dem Landsitz der Familie in Dorset verbringen, aber auch dort wären Ausritte in der freien Natur ihre einzige Zerstreuung. Auf dem Lande könnte sie nicht einmal Theater und Oper besuchen, hätte niemand zum Plaudern und Lachen oder zu Wortgefechten. Allem Anschein nach würde ihr ganzes Leben in dieser eintönigen Langeweile verlaufen.
Ein ungewohnter Anflug von Schwermut befiel sie. Nein, sie hatte sich geschworen, niemals eine Träne zu vergießen, schließlich hatte sie sich das alles selbst durch ihren Leichtsinn zuzuschreiben.
Doch nach diesen verregneten grauen Wochen war ihre Stimmung auf einem Tiefpunkt angelangt, und sie konnte nicht gegen ihr Selbstmitleid ankämpfen. Ungeduldig wischte sie sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht, die unter ihrem Hut hervorgerutscht waren.
Und dann geschah es. Eben noch fuhr der Wagen im raschen Tempo dahin, plötzlich schlingerte er und kippte gefährlich zur Seite. Nur mit Mühe gelang es Miranda, die Zügel zu straffen, um zu verhindern, dass die Pferde durchgingen.
Sie wusste augenblicklich, dass ein Rad gebrochen sein musste. Mit aller Kraft riss sie die Zügel zurück, um die verängstigten Tiere zum Stehen zu bringen und sich gleichzeitig auf der schräg geneigten Bank zu halten, um nicht auf der Fahrbahn zu landen. Im selben Moment näherte sich eine elegante schwarze Karosse von hinten. Zwei Diener sprangen ab und brachten ihre erschrockenen Pferde zum Stehen.
Der Regen hatte wieder eingesetzt und prasselte auf Miranda hernieder. Die Karosse hatte vor ihrer Kutsche angehalten. Flüchtig nahm sie ein goldenes Wappen am Wagenschlag wahr, ohne zu erkennen, wem es gehörte. Sie hatte genug damit zu tun, sich als Idiotin und Schlafmütze zu tadeln, nicht besser aufgepasst zu haben. Sie kletterte allein vom Kutschbock des seitlich gekippten Wagens, bevor ihr jemand helfen konnte, streifte das gebrochene Rad mit einem flüchtigen Blick und begab sich nach vorne, griff das Führpferd am Zaumzeug und streichelte ihm leise murmelnd die Samtschnauze.
Ein Diener begab sich zur schwarzen Karosse, öffnete den Wagenschlag, ließ das Treppchen herunter und sprach leise ins Wageninnere, dann kam er zu ihr. „Seine Lordschaft lässt fragen, ob Sie ihm die Ehre erweisen, Ihnen seine Hilfe anbieten zu dürfen“, sagte er höflich.
Verdammter Mist, dachte Miranda, die von ihren Brüdern fluchen gelernt hatte. „Ich danke bestens. Ich brauche keine Hilfe.“
Aus dem Wageninneren ertönte eine dunkle, wohlklingende Stimme. „Mein liebes Kind, Sie sind ja völlig durchnässt. Gestatten Sie mir wenigstens, Sie nach Hause zu bringen, während meine Diener sich um Ihren Wagen und die Pferde kümmern.“
Miranda biss sich auf die Unterlippe und blickte sich suchend um. Der Park war menschenleer, und alleine konnte sie nichts ausrichten. Im Übrigen handelte es sich dem Wappen nach zu urteilen um einen Aristokraten, der ihr vermutlich nicht gefährlich werden würde. Die meisten Adeligen in ihrem Bekanntenkreis waren ältere, von der Gicht geplagte Herren. Und sollte dieser hier zudringlich werden, würde sie sich mit Fäusten, durch Kratzen und Beißen zur Wehr setzen. Kurzum, mit allen Waffen, mit denen sie Christopher St. John vor zwei Jahren
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