Zeit der Idioten
es sind ganz einfache Sachen – Springsteen, Patti Smith und so. Ich ruf dich an«, nuschelt Snake in seinen Kurt Russel-Bart.
Ich nicke nur und presse meine Lippen zusammen. Snake geht und Johanna umarmt Bob. Bin ich nicht ein Glückspilz?
Der sechste Anschlag
Das ist der idiotischste gewesen, wenn ihr mich fragt. Das war während des Wiener Wahlkampfs. Die Wahlveranstaltungen waren – und das ist der angenehmste Nebeneffekt der Terrorangst – aufs Notwendigste reduziert. Und sie waren selbstverständlich lächerlich. Der Polizeischutz war so übertrieben, dass kein Wahlredner zu sehen war und Publikum fand sich so gut wie gar keins. Nur die Hardcore-Fans riskierten Kopf und Kragen, aber was bitte macht eine Wahlveranstaltung vor Leuten, die man sowieso im Sack hat, für einen Sinn? Aber bitte. Im Fernsehen haben sie ein Transparent mit dem alten sozialistischen Slogan gezeigt:
Rot bis in den Tod
. Das nenne ich Galgenhumor. Jedenfalls haben
Die Grünen
ein Lokal in der Leopoldstadt gemietet, wo sie statt zu einer herkömmlichen Wahlveranstaltung zu einer öffentlichen Pressekonferenz eingeladen haben. Aber auch hier waren sowohl im Lokal selbst als auch in der Gegend um das Haus herum, im Karmeliterviertel, hauptsächlich Polizisten zu sehen. Die Bewohner des Hauses, in dem sich dieses Lokal befindet, waren größtenteils in die gegenüberliegende Leopoldskirche gegangen, um dort den Abend zu verbringen. Könnt ihr euch die Szenerie vorstellen? Gut.
Es ist aber gar nichts passiert, der Anschlag war dort nur geplant. Und jetzt kommt das wirklich Idiotische: Laut Zeitungsbericht erhielt die Polizei um 19 Uhr 11 einen Anruf. Eine Männerstimme gab sich als Sprecher der rechtsradikalen, neofaschistischen Gruppierung
Es reicht! Österreich ins Reich!
aus und soll gesagt haben: »Um Punkt 19 Uhr 20 werden diese grünen, liberalen Schweine am eigenen Leib verspüren, wohin es führt, wenn Juden und Ausländer …«
Und genau in diesem Moment ging die Bombe los.
Nur war sie noch gar nicht in dem Lokal, sondern immer noch im Stützpunkt der Neonazis, einem Keller in der Taborstraße. Fehlzündung! Alle elf Vollidioten, die sich dort aufgehalten haben, sind gestorben. Viele Hausbewohner wurden verletzt und das Haus mehr oder weniger zerstört. Die Bewohner hatten angeblich keine Ahnung von den Vorgängen im Keller. Nur der Vermieter, ein Parteifunktionär der Wiener FPÖ und Vater des Führers dieser Nazigruppe, hat sich dann, als die Polizei schon im Haus war, erhängt. Was soll ich sagen.
Die in der Luft schwebende Angst in der Stadt, die jeder von uns – ob er will oder nicht – atmet, ist seitdem definitiv zu Hysterie und Panik mutiert. Keiner traut jetzt mehr dem andern. Viele Gegenden in Wien wirken wie Geisterstädte, wie Filmkulissen aus einem Endzeitthriller. Die Straßen sind leer und verdreckt, obwohl Straßenreinigungsfahrzeuge und Müllabfuhr permanent im Einsatz sind. Die Wiener werden vom Bürgermeister dazu aufgefordert, sich nicht der Angst hinzugeben und normal weiterzumachen. Es ist in jeder Stadt und in jedem Land dasselbe, aber kein Bürgermeister und kein Polizeichef der Welt können diese Idioten kontrollieren. Die wahre Freiheit jeder, besonders aber der westlichen Gesellschaft, scheint im Verbrechen zu liegen, auf der dunklen, verbotenen Seite. Der Teufel kann sich schon einmal ganz entspannt zurücklehnen und Wein nachschenken.
Die Menschen gehen scheinbar nur hinaus, um das Nötigste zu besorgen. Sie kaufen Lebensmittel in Vorratsmengen für Monate ein. Den Müll kippen manche einfach aus dem Fenster. Es ist alles sehr übertrieben, aber glaubt mir, wenn man dort wohnt oder so einen Wahnsinn miterlebt hat, ist dieses Verhalten irgendwie nachvollziehbar und verständlich.
Ich sage euch: Bölling rules! Die Böllinger haben keine Angst. Vielleicht sind sie aber auch nur naiv. Sie glauben wahrscheinlich aus dem Schneider zu sein, weil der Gstettner Franz die Sache für sie abgehakt hat oder so. Wer sollte Interesse an einem terroristischen Anschlag in Bölling haben? Es gibt hier weder ethnische Randgruppen noch politische Extremisten. Andererseits gibt’s jede Menge Idioten. Alle kenne ich nicht. Mich kennen auch nur ein paar. Naja, eigentlich alle, seit damals. Aber so richtig kennt mich keiner, versteht ihr? Ihr kennt mich ja auch nicht wirklich, obwohl ich noch nie irgendjemandem gegenüber so offen war wie euch, das könnt ihr mir glauben.
In Wien ist das Kontingent der
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