Zeit der Idioten
nicht, hat eine Aura einen bestimmten Geschmack? Ist das, was ein Mensch ausstrahlt, überhaupt etwas Körperliches? Sie ist mir jetzt so nahe, dass ich es wunderbar und verunsichernd zugleich finde. Sie spürt das, glaube ich, und gibt mir schnell einen kleinen Kuss auf die Lippen, aber weil sie sich nicht mehr ganz im Griff hat, ist er feucht und schmeckt nach Wein. Jessas.
»Du bist kein Idiot, Cornelius. Und du bist auch nicht Meine Wenigkeit oder Snake. Du bist ein guter Vater, das weiß ich. Als Lehrerin schaust du den Kindern ins Gesicht und siehst in die Augen ihrer Eltern. Du durchschaust sie. Wirklich. Glaub mir, du bist kein Idiot.«
Und dann küsst sie mich noch einmal. Also, sie küsst mich, versteht ihr? Sie ist sehr lieb und sie meint es ernst, aber sie hat keine Ahnung. Ihr versteht mich doch, oder? Bitte! Ich will es nicht vermasseln, wirklich nicht. Keiner hat Streicheleinheiten nötiger als ich, dennoch ziehe ich mich zurück.
»Ist schon okay«, sagt sie ganz ruhig. »Hier, trink, immerhin sind wir zum Trinken hergekommen, oder?«
»Ja …«
» ›Ja‹ – da ist es endlich wieder. Der schmeckt fürchterlich, oder?«
»Ja.«
Sie prustet wieder. »Lass uns noch ein bisschen spazieren gehen, Cornelius, in Ordnung? Es riecht hier so gut.«
Bevor ich sie zum Fiesta zurückbringe – Bob hat für Notfälle ein Gästezimmer im ersten Stock –, spazieren wir noch am Ufer entlang. Es ist ein schöner Abend gewesen und es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber sie hat wirklich keine Ahnung, es riecht hier nur nach Katzenscheiße und Mistkäfern. Und ich glaube auch nicht, dass ich einer bin, der Ja sagt.
Trotzdem fühle ich mich bei ihr wohl. Sie ist sehr besonders, finde ich. Sie lässt mich glauben, weder Mitleid erregend noch seltsam zu sein. Ich mag das und wahrscheinlich brauche ich es auch. Aber sie muss mir Zeit lassen. Johanna kann sich leicht öffnen. Sie scheint großes Vertrauen in die Menschen zu haben. Vielleicht war es aber auch nur der Wein. Ich weiß nicht, ich bin eben skeptisch. Und das hat nichts mit meinem Trauma zu tun. Ich meine, Johanna spricht mit einer Leichtigkeit, mit einer fast schon logischen Selbstverständlichkeit von der Neuerschaffung des Universums, die einem sofort den Wind aus den so liebgewonnenen, zynischen Segeln nimmt.
Ja, es ist ein Drama mit mir. Ich spüre immer nur, dass alles einfach sein
könnte
. In meinem ganz persönlichen Lebensbuch steht alles Positive im Konjunktiv geschrieben. Und das Buch ist in Stein gemeißelt. Das ist wirklich ein Drama.
The universe loves a drama
singt Paul Simon, und wenn der das sagt, könnte es stimmen, denn der strickt seine Songs immer um objektive Fakten herum. Wenn es also stimmt, dass das Universum Dramen liebt, muss das Universum mich vergöttern. Mir hingegen fehlt in Wahrheit jede Vorstellung vom Universum. Für Frauen scheint das Universum einfach eine erweiterte Wohnung zu sein. Zumindest für Frauen wie Johanna. Ich habe mit dem Universum nichts zu schaffen. Es ist zu groß und an das Große komme ich nicht heran. Die Distanz ist zu enorm. Ich habe schon immer diese Distanz zu den Dingen gehabt. Sie ist immer zwischen mir und der Welt gewesen. Die Luft um mich herum ist einfach zu dick, schätze ich. Ich komme da nicht durch. Sie war zwischen mir und meinen Eltern, zwischen mir und den Mädchen – sie war immer da. Ich bin eben mit dieser Art Mauer um mich herum, an der ich mich immer nur gestoßen habe, gebaut. Entschuldigt, ich hab gerade wieder so einen Hänger – ich weiß, das ist jetzt total unpassend. Aber versteht mich bitte nicht falsch. Das ist jetzt wirklich schön gewesen. Ich hab mich schon lange nicht mehr so gut unterhalten. Normalerweise schauen die Leute mich schief an, wenn ich ins Reden komme, aber Johanna, die hat sich richtig auf mich eingelassen. Das ist sehr bemerkenswert, finde ich. Und ehrlich, ich werde mich bemühen, das Gute einfach geschehen zu lassen. Versprochen.
7. MEIN KREIS
In Büchern findet sich der Sinn des Lebens leicht, oder?
Samstag. Heute kommen meine Eltern. Sarah freut sich, obwohl sie sie gar nicht richtig kennt. Oder eben deswegen? Was weiß ich. Sie telefoniert gerade, und obwohl ich das eigentlich nicht richtig finde, höre ich ihr zu. Ja, ich weiß, Intimsphäre und so, aber ich bin auch nur ein Mensch. Und Sarah ist zwölf.
»Ja, die Buben drücken immer so herum, man kann eigentlich nicht reden mit denen … ja, das ist eh süß, hast Recht, aber
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