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Zeit der Idioten

Zeit der Idioten

Titel: Zeit der Idioten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Moshammer
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muss ich das verlogene, gute Arbeitsklima wahren, dort muss ich lächeln, auch wenn mir zum Kotzen ist. Ich war schon oft nahe dran, den Job an den Nagel zu hängen, es ist ein Scheißjob. Ich meine, versteh mich nicht falsch, ich liebe Kinder und ich habe mein Motiv für meine Berufswahl nicht vergessen: Die Kinder und das Bedürfnis, es besser machen zu wollen. Das ist doch gut, oder?«
    »Ja?«
    »Ja. Weißt du, ich denke, es gibt Menschen, die grundsätzlich Ja sagen und welche, die grundsätzlich Nein sagen. Weißt du, was ich meine? Ich spreche hier nicht von dummen Jasagern, sondern von Menschen, die an etwas Positives glauben wollen. Ich glaube, dass das Glauben
wollen
immens wichtig ist. Unsere Eltern haben einfach nur geglaubt, und wenn man an etwas lange Zeit ganz fest glaubt, wird es so in die Wahrnehmung einzementiert, dass es zu einer Art Wahrheit wird, verstehst du? Der Tunnel. Das ganze Universum wird somit neu erschaffen, Cornelius. Wenn man sich allerdings damit begnügt, nur glauben zu
wollen
, dann bleibt man immer auf Distanz, und das ist gut so, das ist ein Riesenvorteil.«
    Sie macht eine Pause, um zu trinken. Ich strenge mich jetzt nicht an. Ich will sie nicht mehr beeindrucken. Vielleicht ist es der Wein oder die Tatsache, dass Johanna für uns beide spricht, aber ich fühle mich besser.
    Die Nacht ist sehr klar, der Mond hängt stolz und protzig über uns. Ich glaube, der gute, alte Mond hat auch irgendwann einmal aufgehört, der Sonne ebenbürtig sein zu wollen. Er hat kapiert, dass er klein und von ihr abhängig ist und dass sie mit ihrem Licht seine besten Seiten hervorholt – jene, die ihn zum Star am nächtlichen Erdenhimmel machen, wegen derer er angejault und angebetet wird. Er ist der größte Künstler in unserem Teil des Universums, wenn ihr mich fragt. Er hat eigentlich nicht viel zu bieten, einmal abgesehen von seiner luxuriösen Lichtshow, aber er umarmt seine Beschränktheit, er macht das Beste aus seiner Situation. Er hat sich auf ein paar Dinge spezialisiert. Er hat Charisma und er ist die natürlichste Droge der Menschen. Wenn ich der Einzige wäre und die Ewigkeit als Deadline hätte, würde ich mich sicher auch irgendwann einem perfekten Zustand annähern. Und wer weiß, vielleicht tun wir ja genau das. Wenn Johanna Recht hat, könnte ich einfach daran glauben wollen. Aber solange es Vollidioten gibt, die sich nicht mit dem Wollen begnügen, sondern aus beliebigen Gründen davon überzeugt sind, Stadtteile in die Luft jagen zu müssen, schauen wir Wollenden recht blöd aus der Wäsche, oder? Vor allem dann, wenn wir in diesen Stadtteilen zu Hause sind. Und ich sage euch, wir sind in diesen Stadtteilen zu Hause! Ist das ein Argument? Soll ich das jetzt sagen?
    »Ich meine, du wirst jetzt natürlich sagen, dass jede Philosophie mit Bomben gekillt werden kann, Cornelius – und du hast Recht. Du hast Menschen sterben gesehen. Menschen, die an etwas geglaubt haben oder an etwas glauben wollten.«
    »Na, ich würde sagen, in Situationen wie dieser ist es scheißegal, ob du an etwas glaubst oder glauben willst. Wenn der Pistolenlauf einmal deine Schläfe berührt, lösen sich deine Philosophien in Luft auf.«
    »Oder sie kommen genau dann zum Tragen.«
    »Also, ich würde ja liebend gern wieder Ja sagen, aber … Nein.«
    »Schade«, sagt sie und strahlt mich an, als ob sie dennoch nichts umhauen könnte.
    »Du hast doch vorhin deine Arbeitssituation beklagt. Ist vielleicht ein blödes Beispiel, aber, wenn du in deiner ganz persönlichen Spirale gefangen, wenn du ganz unten gelandet wärst … wärst vielleicht sogar du zu allem fähig.«
    »Keine Ahnung.«
    »Genau das meine ich. Keine Ahnung. Das ist der Punkt.
Davon
haben wir keine Ahnung. Und das macht mir Angst, verstehst du? Wir sitzen hier und sagen, die Palästinenser, Israelis, Serben oder Albaner sind Vollidioten – je nachdem, für wen wir uns entscheiden. Aber erstens können wir uns entscheiden und zweitens haben wir keine Ahnung. Wir könnten nicht einmal eine Ahnung haben, wenn wir dort hinfahren würden. Aber jetzt geraten auch bei uns die Dinge aus den Fugen. Alles wird unkontrollierbar. Diese Idioten sind einfach unkontrollierbar. Ich hasse das und ich hasse sie. Und manchmal habe ich Angst davor, dass ich selbst auch nur ein Idiot bin.«
    Wieder schaut sie mir in die Augen. Ich kann sie riechen. Ich habe schon lange keine Frau mehr gerochen. Es ist nicht einfach ihr Atem oder ein Parfum – ich weiß auch

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