Zeit der Idioten
Bundespolizei erschöpft. Seit diesem Anschlag bevölkern Soldaten die Wiener Innenstadt. Der Wahlkampf wurde abgebrochen, die Wahlen wurden verschoben.
Ich bringe Johanna noch zu ihrem Auto. Sie ist ganz aufgeregt.
»Ich freu mich auf deinen Auftritt. Du wirst sehen, das tut dir gut. Du musst raus, unter die Leute.«
»Jaja.«
»Und vergiss nicht, was Bob gesagt hat. Du musst deinen Song dort singen. Er wird das groß ankündigen.«
»Was?«
»Ja, das hat er doch gerade gesagt.«
»Zu dir vielleicht.«
»Komm schon, Cornelius. Das ist eine Chance. Bob meint es gut mit dir.«
»Ja, ich weiß.«
»Und ich auch.«
Sie schaut mir in die Augen und ich weiß, ich sollte sie jetzt küssen, sie umarmen, mein Herz weit, weit aufmachen und sie in mich hineinziehen, die Welt für einen Augenblick anhalten und einen kleinen Kokon um uns weben, der sich anfühlt wie ein Lovesong von Van Morrison und jedem Sturm trotzen könnte. Aber ich tu’s nicht. Ich tu es einfach nicht. Fragt mich nicht, warum, aber ich schaue sie nur an und sage: »Ich glaube, Terrorismus ist die aktuellste Form von Rock’n’Roll.«
Sie nickt ziemlich lange und die Grillen zirpen dazu. Wenn man den Grillen genau zuhört, entdeckt man in ihrem Chaos Musik. Robbie Robertson hat einmal Grillen aufgenommen und dann runtergestimmt – das Ergebnis klingt wie hundert Opernsängerinnen auf Drogen. Ich weiß nicht, was ich da jetzt gerade heraushöre, es ist keine gewöhnliche Musik, aber dieses Chaos hat irgendwas mit Freiheit zu tun – ihr solltet euch den Grillen wirklich einmal widmen.
»Warte hier, ich möchte dir etwas zeigen.« Sie geht zu ihrem Auto, nimmt etwas von der Rückbank und kommt zurück.
»Was ist das? Eine Flasche Wein?«, frage ich verwirrt.
»Ja, die rollt schon seit Weihnachten in meinem Auto herum, ist wahrscheinlich billiger Fusel, ein Geschenk eines Kollegen, aber wenn du willst … ich würde sie gern mit dir trinken.«
»Äh, warum nicht? Ja.«
»Ja«, lächelt sie, hängt sich bei mir ein und dann gehen wir los. »Wir sollten aber nicht zu dir gehen, oder? Wegen Sarah, meine ich.«
»Nein, wollte ich auch gar nicht«, sage ich auf meine unwiderstehlich charmante Art. Ich kann es nicht genau erkennen, aber ich glaube, ihre Wangen sind wieder etwas wärmer geworden. Zumindest zuckt ihr Arm zurück. Ich halte ihn einfach fest.
Knapp außerhalb von Bölling liegt ein kleiner Schotterteich, da waren wir früher sehr oft. Als Jugendliche, meine ich. Ich komme mir jetzt ein bisschen blöd vor, weil ich als Fünfunddreißigjähriger immer noch mit einem Mädchen zum Schotterteich gehe, aber was soll’s. Johanna atmet tief durch.
Der Wein schmeckt billig und nach leicht verschimmeltem Kork, aber keiner von uns erwähnt das. Wir sind beide so um Lockerheit und Unbeschwertheit bemüht, dass es schmerzt. Kaum drängt sich einem das Thema Sex in die Gedankenblase, spielen die Buchstaben verrückt und es bleiben nur noch seltsame Symbole übrig. Der Körper ist ein autarkes, gemeines Wesen. Meiner zumindest – ein Krampf in meiner linken Wade lässt mich schon zum zweiten Mal aufjaulen. Johanna lächelt und prustet.
»Du hast ›Ja‹ gesagt vorhin, das war schön«, sagt sie dann.
»Ach ja? Naja …«
Jessasmarandjosef, ich kann das einfach nicht. Ich habe in solchen Situationen genau nichts zu sagen, ich bin nicht geschaffen für Momente dieser Art. Ich will reden, doch mein Gehirn verweigert konsequent einfache, klare Gedanken. Ich bin der lebende Beweis dafür, dass Körper und Geist nicht zusammengehören. Ich bin der lebende Beweis für die Sinnhaftigkeit des Todes. Ich bin … ach, was weiß ich, was ich bin. Und so trinke ich also. Wenn ich trinke, werde ich noch ruhiger.
Johanna scheint der Alkohol ins Gegenteil zu drängen, sie lacht und redet und redet und redet.
»Ich mag das, Cornelius, wirklich. Weißt du, ich habe einen Kollegen – der, der mir den Wein geschenkt hat –, der quasselt mich jeden Tag voll, und alles, was er sagt, meint immer nur das eine: Wann lässt du dich endlich von mir flachlegen? Verstehst du? Ich hasse das. Er erzählt mir in jeder Pause von seiner faden Stunde, von den Kindern, die ihn nicht leiden können und die er in Wahrheit verachtet, weil sie Recht haben. Weil sie ihn spüren lassen, was ich mich nicht traue. Das ist so schwierig in der Arbeit, verstehst du? Wenn du so einer wärst, würde ich jetzt aufstehen und nach Hause fahren, aber in der Schule geht das nicht, dort
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